Von Ralf Keuper

In einem Interview aus dem Jahr 1998 legte der Kunsthistoriker Horst Bredekamp dar, weshalb er der Ansicht ist, dass Medien seit jeher ein integraler Bestandteil der Kunstgeschichte sind. Diese Einschätzung lässt sich auch nicht durch den Hinweis widerlegen, in Zeiten immaterieller Kunstwerke sei eine an materiellen Kategorien orientierte Wissenschaftsdisziplin für neue Medien oder Netzkunst nicht mehr zuständig.

Gegen diese Auffassung wendet Bredekamp ein:

Meine Kritik an der Netzkunst, soweit ich sie wahrgenommen habe, liegt darin, daß sie an einer Selbstaufhebung des Materiellen arbeitet, an die sie selbst nicht glaubt. Die Vorstellung, daß im Internet Kunstwerke entstehen könnten, die immer weniger materiell gebunden sind, ist aus meiner Sicht einerseits illusionär. … Es ist ein abstruser Gedanke, daß ein Bild auf einem Screen materiefrei wäre. Das haben Videokünstler gerade der ersten Generation darin zugespitzt, daß sie den Fernseher als Skulptur genutzt haben. Die beweglichen oder auch nicht beweglichen Bilder der Screens sind mit einer Logistik behaftet, welche die Florentiner Pietà von Michelangelo um ein Vielfaches an materieller Gravitation übersteigt.

Anstatt die Kunstgeschichte weiter aufzufächern, um die Rolle der Medien im Wandel der Zeit stärker in den Blick zu nehmen, wäre schon viel gewonnen, wenn man sich der Methoden bedienen würde, die schon 1933 zu Genüge vorhanden waren. Bredekamp erinnert in dem Zusammenhang an die Forschungen Aby Warburgs und von Erwin Panofsky:

In der Wiener und der Hamburger Schule vor 1933, um nur zwei herausragende Beispiele zu nennen, gab es einen offenen Begriff von Kunst, der mit heutigen Versuchen einer Neubestimmung konvergiert. Wenn Riegl sich mit der „Spätrömischen Kunstindustrie“ beschäftigt und wenn Warburg Briefmarken, Flugblattpropaganda und Botticelli-Gemälde analysiert, dann ist das die Offenheit eines Bildbegriffes, der sich fortschreibt bis zu Panofskys Arbeit über den Kühlergrill des Rolls-Royce. Das Zutrauen, sich vom Autodesign bis zur Briefmarke und bis zu Poussin mit denselben, fachspezifisch geschärften Methoden zu beschäftigen, braucht nicht neu fundiert, sondern nur erinnert zu werden. Wir brauchen nicht umzudefinieren, sondern sollten nach mehreren Generationen endlich wissenschaftsgeschichtlich aufholen, was bis 1933 zumindest im deutschsprachigen Raum der Kunstgeschichte entwickelt war. Dies wäre die Hoffnung.

Zuvor machte Bredekamp seine Haltung am Beispiel der Filmwissenschaften deutlich:

Ob man sich mit einem Medium beschäftigt, ist also sowohl auf der Ebene des Gegenstandes selbst relevant; dann aber auch in Bezug auf den methodischen Impuls, den das Medium dem gesamten Bereich der Kunstgeschichte vermittelt. Hiervon profitieren beide Seiten. Eine ruhige Anwendung des klassischen Instrumentariums der Kunstgeschichte in Bezug auf den Film, also das Zerlegen der Sequenzen, das Beschreiben der Einstellungen und der Kompositionen und der Versuch einer inhaltlichen und historischen Deutung, ist nach wie vor erforderlich. Ich würde auf der Ebene des grundlegenden Zuganges keinen Bruch sehen zwischen der Analyse eines Poussin oder einer Godard-Sequenz. Die methodischen Mittel waren und sind präsent, man muß sie nur anwenden.

Um das wahre Potenzial der neuen Mediengattungen erschließen zu können, sei es, so Bredekamp, nötig, sich zunächst voll darauf einzulassen. Weder demonstrative Ablehnung noch die kritiklose Euphorie seien angemessen, um den neuen Medien gerecht zu werden:

Gegenüber beiden Positionen, der einen, die glaubt, sagen zu können: „ich warte bis der Sturm vorbei ist, und dann ist die Welt wieder so, wie ich sie mir wünsche“, wie auch der zweiten, die ebenso heftig propagiert, wie sie danach vergißt, ist jedoch entgegenzuhalten, daß ein produktiver und kritischer Weg meines Erachtens nur hindurch führt. Eine pure Negation ist in der Konkurrenz zur Semiotik, zu den Visual Studies und zu den Spielarten der unhistorisch orientierten Medien- und Kommunikationswissenschaften halsbrecherisch.

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