Auszug aus einem Interview der FR mit Paul Virilio vom Januar 2001Frage:

Welche weiteren Indizien weisen für Sie darauf hin, dass das Leben auf dem Planeten zunehmend von jenen beherrscht wird, die sich Zugang zum allgemeinen Informationsfluss verschaffen und ihn steuern können?

Virilio: Denken Sie nur an die NSA, die National Security Agency mit Sitz in Fort Meade, Maryland, die anstelle der CIA speziell für den Bereich Telekommunikation verantwortlich ist – also nicht für die lokale Spionage, sondern für die globale nachrichtendienstliche Tätigkeit. Diese Organisation verfolgt den gesamten Informationsaustausch über Internet wie über Telefon und übt infolgedessen eine Form von Regierungsgewalt aus. Daneben vermehren sich die Anzeichen einer ständigen optischen Denunziation, die noch viel größeres Unheil anrichtet als die mündliche oder schriftliche Denunziation, wie sie etwa im zweiten Weltkrieg für die Kollaborateure charakteristisch war. Die jetzige Revolution auf der Ebene der Information geht zwangsläufig einher mit einer Revolution auf der Ebene der Denunziation. Das heisst, Fernsehen und Internet, Web-Cam und Live-Cam sind Medien, die die Welt enthüllen und sie damit auch denunzieren. Der dort betriebene Exhibitionismus belegt das ebenso nachdrücklich wie der dazu gehörige Voyeurismus. Und diese Denunziation setzt sich fort durch die omnipräsente Video-Überwachung: In England zum Beispiel sind momentan eine Million Kameras an öffentlichen Orten installiert. Wer durch die Straßen von London wandert, wird im Laufe eines Tages 300 Mal optisch erfasst. Die Regierung Blair will dieses System auf das ganze Land ausdehnen, die Strände mit eingeschlossen. Warum nicht auch auf die Wälder? Ist das nicht die totale Enthüllung, die Hyperoptik schlechthin? Ist das nicht Orwell? Jedenfalls deutet sich hier die Zukunft des Fernsehens und des Internets an: die hemmungslose Verbreitung von Bildern ohne jede kritische Auseinandersetzung.

Quelle: „Wenn Zeit Geld ist, dann ist Geschwindigkeit Macht“ – Informationelle Revolution und zufriedene Surfer. Paul Virilio im Gespräch mit Constantin von Barloewen, Frankfurter Rundschau Online, abgerufen am 10.01.2001

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