Von Ralf Keuper

Es ist nach wie vor bemerkenswert, wenn vermeintliche Qualitätsmedien versuchen, uns ein Bild von Personen zu verkaufen, das sich in seinem Kern aus Anekdoten, küchenpsychologischen Einsichten und Tratsch zusammensetzt. Geschehen aktuell in Angela Merkel – Die stille Königin.

Darin macht die Autorin den Regierungsstil Merkels in Abgrenzung zu ihrem Vorgänger u.a. an ihrem distanzierten Verhältnis zum Interieur fest.

Merkel ließ den Macho-Schreibtisch ihres Vorgängers stehen und hing Konrad Adenauer drüber. Aber sie sitzt fast nie dort. Sie arbeitet lieber an einem schmalen Besprechungstisch gleich rechts hinter der Eingangstür. Sie telefoniert nicht gerne mit Sekretärinnen, sagt sie. Sie gehe lieber zu ihnen, wenn sie etwas braucht, oder sie rufe durch die offene Tür.

Nicht nur daraus schließt die Autorin, dass Frauen ein anderes Verhältnis zur Macht haben als Männer:

Gehen Frauen also mit Macht anders um? Angela Merkel schon mal ja. Sie ist die mächtigste Frau der Welt, die informelle Königin von Europa. Aber sie benimmt sich nicht so. Sie zelebriert ihre Macht nicht, eher im Gegenteil.

Die Tatsache, dass Merkel keine Handtasche bei sich führe, um nicht wie Maggie Thatcher betrachtet zu werden, reicht als weiterer Beleg für die doch recht steilen Thesen des Textes. Hosenanzug statt Handtasche – und schon ist alles anders.

Einkaufen wie die normale schwäbische Hausfrau im Einkaufzentrum, das türkise Kleid zeimal getragen – weitere eindrucksvolle Belege des neuen Machtstils. Das weckt Erinnerungen an den „Bürger King“ Helmut Kohl und sein Markenzeichen – die Strickjacke.

Christine Lagarde wird mit den Worten zitiert, dass Frauen mit Macht einfach besser umgehen könnten als Männer. Ein Blick in die Geschichte würde da zu etwas mehr Bescheidenheit raten: Königin Elizabeth I von England, Katharina die Große, die Witwe Mao-Tse Tungs und Maggie Thatcher haben sich nicht unbedingt mit einem Verhältnis zur Macht ausgezeichnet, das dem der Männer diametral entgegenstand. Und auch die Präsidentin von Argentinien, Cristina Kirchner, erweckt bei Außenstehenden nicht den Eindruck, mit ihrer Macht besonders behutsam umzugehen.

Immer, so erfahren wir weiter, wenn schwere Krisen auftreten, seien Frauen gefordert. Auch IBM könnte eines Tages von einer Frau gerettet werden. Den Fall hat es in der Branche bereits gegeben: Und zwar in Person von Carly Fiorina, die, als HP sich in Schieflage befand, an die Spitze des Unternehmens gerufen wurde.

Bei Wikipedia heisst es:

In ihrer Zeit bei Hewlett-Packard blieb Fiorina umstritten, trotz ihrer Erfolge in der Umsatzsteigerung und der finanziellen Konsolidierung des Unternehmens. Ihr wurde unter anderem mangelnde Branchenkenntnis sowie weitreichende Entlassungen vorgeworfen (bis Ende 2003 verloren 15.000 Mitarbeiter ihre Stelle). Managementexperten vergleichen ihre Leistung bei Hewlett-Packard dagegen mit Lou Gerstners Turnaround von IBM. Von 2000 bis 2005 wurde Fiorina vom US-Wirtschaftsmagazin Fortune sechs Jahre in Folge zur mächtigsten Frau in der Wirtschaft gekürt.

Nach internen Auseinandersetzungen mit dem Verwaltungsrat von Hewlett-Packard über die Weitergabe vertraulicher Informationen an die Presse entließ dieser Fiorina am 9. Februar 2005 ohne Angabe von Gründen. Ihre Abfindung belief sich auf insgesamt mehr als 21 Millionen US-Dollar.

Die Chancen stehen gar nicht mal so schlecht, dass Frau Fiorina demnächst ihr Können auch in der Politik unter Beweis stellen kann. Anfang Mai gab die Republikanerin bekannt, für das amerikanische Präsidentenamt zu kandidieren.

Auch sonst spart der Beitrag einige nicht unwesentliche Details aus. Es drängt sich der Eindruck des PR-Journalismus auf.

Dass Frau Merkel außerordentlich geschickt mit der Macht umzugehen weiss, ist unbestritten, ebenso wie die Tatsache Respekt verdient, dass sie es geschafft hat, sich in einer von Männern dominierten Welt durchzusetzen. Da ist sie jedoch nicht die Erste und auch nicht die Letzte. Alles andere ist Klatsch und Tratsch. Dafür gibt es schon lange die entsprechenden Journale ;-)))

Update:

Über twitter erreichte mich der Hinweis, es handele sich um ein Portrait, ein Sujet also, das eine gewisse künstlerische Freiheit zulasse. Das sei daher kein PR-Journalismus.

Eine Homestory ist auch ein Portrait. Es zeichnet sich durch eine gewisse Distanzlosigkeit gegenüber der zu portraitierenden Person aus. Um die Darstellung stimmiger zu machen, wird dabei gerne auf die Stilelemente Anekdoten, Klischees und küchenpsychologische Einsichten zurückgegriffen. Das kann man machen – nur erwarte ich von Medien, die für sich einen gewissen Qualitätsanspruch reklamieren, etwas anders, als Storytelling und konstruierte Geschichten, die nicht einmal sonderlich gut geschrieben sind und einer ersten Überprüfung an den Fakten nicht standhalten. Märchen sollte man auch als solche kennzeichnen. Das kann man von H.C. Andersen und Der Kaiser ist nackt lernen 😉

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