Von Ralf Keuper

In dem ausgesprochen lesenswerten Beitrag Kritzeln ist menschlich in der Süddeutschen Zeitung vom 19.11.2014 berichtet Susanne Weidlich von den Forschungen des niederländischen Historikers Erik Kwakkel von der Universität Leiden. Kwakkel hat sich auf die Buch- und Druckkunst des Mittelalters spezialisiert und gilt in diesem Fach als einer der führenden und originellsten Forscher, wie schon allein sein schöner Blog medieval books verdeutlicht.

Kwakkel spannt gerne den Bogen vom Mittelalter bis in unsere Zeit. In seinen Blog-Beiträgen Medieval Selfies und Getting personal in the margin zeigt Kwakkel, dass die Kopisten im Mittelalter schon Kommunikationstechniken gebrauchten, die man als Vorläufer heutiger Stilarten in der Kommunikation über Internet betrachten kann: So manch ein Kopist in den Skriptorien der mittelalterlichen Klöster fügte den Texten, teils aus Langeweile, teils aus Geltungsdrang, eigene Kommentare oder Bilder am Seitenrand hinzu. Die Kommentare konnten dabei sowohl eher banaler Art sein, wie auch inhaltliche Kritik enthalten, wie

So hätte ich das übersetzt.

Wie später Albrecht Dürer in der Malerei, verewigte sich der eine oder andere Kopist durch sein Impressum. Wer dazu noch mit einer malerischen Ader ausgestattet war, schmückte den Text auch schon mal mit einem Selbstbildnis oder einer Karikatur. Selbst die Kunst der Schleich- bzw. Eigenwerbung beherrschten einige Kopisten, wie Weidlich ausführt, in Vollendung, wie

Wenn noch jemand ein so ansehnliches Buch haben möchte, komme er zu mir nach Paris, gegenüber der Kathedrale Notre Dame.

Hin und wieder ließ der Kopist auch mal seinem Unmut freien Lauf, wie Susanne Weidlich schreibt. Der Kopist Henry van Damme, zum Beispiel, ließ die Mit- und Nachwelt wissen, dass er für einen so geringen Betrag, wie für die Übersetzung der Chronik der Stadt Brüssel, nicht noch einmal arbeiten werde. Es scheint, als wäre der Mindestlohn bereits im Mittelalter ein Thema gewesen 😉

Notizen, wie die bereits erwähnte So hätte ich das übersetzt, erinnern an die Kommentare, die man zu genüge im Internet lesen kann – in gewisser Weise verbergen sich dahinter die Trolle des Mittelalters.

Die Karthausermönche, die zum Schweigen verpflichtet waren, könnten, so die These von Kwakkel, die Notizen zur Verständigung untereinander verwendet haben – also in gewisser Hinsicht die Frühform der SMS.

Sicher – alles recht spekulativ – aber irgendwie originell.

Seit kurzem versuchen neue Formate den Gedanken der gemeinsamen Lektüre und Kommentierung auf die Welt des Internet zu übertragen, wie das Projekt sobooks.

Weitere Informationen:

Erik Kwakkel: Books Before Print

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