Was waren das doch noch für Zeiten, als Bertelsmann, News Corporation, Vivendi, Sony und Time Warner das internationale Mediengeschäft unter sich aufteilen konnten. Es hätte auch alles so bleiben können, wenn nicht Google, Apple und Amazon das Mediengeschäft quasi über Nacht an sich gerissen hätten. Seitdem dominiert Amazon den Buchhandel, im Musik- und Filmgeschäft kommt kaum noch jemand an Apple vorbei und für die Informationssuche im Internet ist Google der Platzhirsch. Was bei Google nicht gefunden wird, gibt es eigentlich nicht. Da bleibt für die Majors häufig nur noch die Statistenrolle und die Beschwörung des eigenen, unverwechselbaren Contents, der letztlich doch nur Massenware ist.
Tim Renner, einige Jahre Chef von Universal Music in Deutschland und seit kurzem Kulturstaatssekretär von Berlin, legt in seinem Buch Kinder. Der Tod ist gar nicht so schlimm. Über die Zukunft der Musik- und Medienindustrie den Finger in die Wunde.
Renner beschreibt einen Zustand satter Zufriedenheit, der sich bei den Majors über die Jahrzehnte hatte bilden können. Wozu innovativ sein, wenn Künstler, Kunden und Handel eh nicht an uns vorbei kommen?
Vertikale Integration scheint für die Musikindustrie eigentlich immer nur zu bedeuten, dass sie sich integrieren lässt, sobald eine technische Innovation durchzusetzen ist. Auch in Zeiten gewaltiger Umsätze und Renditen, ob in den zwanziger, sechziger, siebziger oder neunziger Jahren, unternahm sie selbst nie einen ernsthaften Anlauf, den Spieß umzudrehen, die Geräte offensiv an sich zu binden und somit Entwicklungen selbst moderieren zu können. Es scheint, als würde sich die Innovationskraft der Musikfirmen in der Konzentration auf den Inhalt erschöpfen. Als gesellschaftlicher Treiber agieren die Künstler und ihre Inhalte. Als Firmen werden sie weiterhin getrieben – von technologischen Neuerungen.
Die Fixierung auf Zahlen, die Bevorzug der Quantität vor der Qualität hat in keinem Bereich so tiefe Wurzeln geschlagen wie im Privatfernsehen und inzwischen auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen:
Schritt für Schritt begannen die privaten Anbieter, ihre Logik der Quantität, der Reichweite, der Zielgruppenpräsenz auf die gesamte Fernsehlandschaft zu übertragen. Auf welche Weise die Zuschauer mit dem umgehen, was sie sehen, ob und wie Fernsehen sie bewegt hat, wird immer weniger wichtig – das Einzige, was in den Sendern zählt, wenn am Morgen nach der Ausstrahlung die Quoten herumgereicht werden, ist die schlichte Zahl. Und bei den Analysten in den Sendern ist Musik zunehmend verpönt, denn sie führt zu Dellen in der Quotenkurve, zu den verhassten >Umschaltern<. Der Grund ist einfach: Alles, was emotional ist, führt auch zu Ablehnung. Je emotionaler, umso heftiger. Je heftiger, um so schneller wird umgeschaltet. Da sich die Qualität von Musik und ihrer Darbietung aber nun mal danach bemisst, so emotional wie möglich zu sein, widerspricht das zutiefst einem Fernsehideal, das auf stabilen Quoten, auf purer Quantität beruht.
Den Managern sei über die Jahre, so Renner, das Gespür für den Wert von und für Qualität abhanden gekommen. Ausschlaggebend ist die Logik aus den Anfängen der Massenproduktion. Standardisieren wo es nur geht, und dann die Produkte mit der vollen Wucht des Marketing in den Markt pumpen. Da kann es auch ruhig Verschnitt geben; Hauptsache unterm Strich bleibt genügend hängen und die Verkaufszahlen stimmen. Keine Frage: Diese Logik hat(te) etwas für sich und für lange Zeit gab den Managern der Erfolg auch recht.
Nur wenige waren, wie der legendäre Monti Lüftner von Ariola/Bertelsmann, mit einen sicheren Gespür für Zahlen und Qualität ausgestattet, wenngleich auch hier stets der Massenmarkt das Ziel war.
Renner fordert eine Abkehr von diesem eindimensionalen Denken:
Wir müssen damit aufhören, uns hinter einem vermeintlichen Plebiszit der Effizienzanalysen zu verschanzen, die wir für enorme viel Geld von Beraterfirmen einkaufen. Die Wirtschaft braucht Entscheider, die den Mut haben, auch mal Fehler zu machen, und die Konsequenzen aus diesen ziehen. Wir brauchen keine Managementtechnokraten, die das verfügbare Kapital in Gefälligkeitesgutachten und Status-quo-Analysen investieren, sondern Persönlichkeiten, die ihre Geschäft verstehen und Werte produzieren – statt Entschuldigungen und Erklärungen.
Alles in allem eine treffende Zustandsbeschreibung. Die Diagnose gilt dabei keineswegs nur für die Musik- und Medienindustrie, sondern für alle Unternehmen, deren Geschäftsmodelle durch die Digitalisierung unter Druck geraten, wie Banken.