Von Ralf Keuper
Die alte Medienindustrie ist, folgt man Lutz Hachmeister und Till Wäscher, in Auflösung begriffen. Unter die weltweit größten Medienkonzerne haben sich in den letzten Jahren neue Spieler gemischt, die noch vor fünfzehn Jahren von Disney, News Corporation und Bertelsmann als Mitbewerber kaum wahrgenommen wurden.
Zu den großen traditionellen, vertikal integrierten Medienkonzernen, die üblicherweise Fernsehsender, Radiostationen, ein Hollywood-Studio, Themenparks und einen Games Publisher verbinden (zum Beispiel Walt Disney, Time Warner oder Viacom/CBS) sind in den vergangenen Jahren neue Wissens- und Datenkonzerne hinzugekommen. Die „Big Four“ der Online-Industrie, heute gern als GAFA bezeichnet (Abkürzung für: Google, Apple, Facebook, Amazon), machen den legacy media nicht nur durch das Sammeln von Nutzerdaten Marktanteile auf dem Werbemarkt streitig, sondern sie haben massiv in die Produktion von eigenen Inhalten investiert. Es ist zu einem Revival der in der Vergangenheit überstrapazierten Phrase „Content is King“ gekommen, die bezeichnenderweise auch in einem Artikel von Bill Gates im Jahr 1996 auftaucht, in dem der Microsoft-Gründer prognostizierte, das Internet werde sich langfristig zu einer neuen Form von kommerziellen Rundfunk entwickeln.
Das spiegelt sich auch darin, dass der größte Medienkonzern Google mit einem Jahresumsatz von 67,6 Mrd. Dollar ist, gefolgt von Comcast und Disney. Von den deutschen Medienkonzernen schafft es nur noch Bertelsmann, auch hier nur noch mit fallender Tendenz, unter die Top 50 der Welt:
20 Konzerne, die noch vor zehn Jahren Teil der Top 50 waren, sind in der aktuellen Rangliste nicht mehr vertreten, darunter auch die fünf deutschen Vertreter Axel Springer, Pro Sieben Sat 1, Holtzbrinck, Burda und die Funke-Mediengruppe. US-Konzerne wie der langjährige Spitzenreiter Time Warner (1995 bis 2009), wie Walt Disney und News Corp. können ihre Stellung noch halten. 30 der 50 größten Medienkonzerne kommen aus Nordamerika, zehn aus Europa und sechs aus Asien. Mit dem Einzug von Google und Apple in die Top Ten mussten europäische Konzerne wie Vivendi, Lagardère, die ARD und Bertelsmann den Medien- und Datenkonzernen in den oberen Plätzen weichen.
Künftig seien die alten Medienkonzerne sowie Blogs nur noch Zulieferer der großen Digitalen Plattformen wie GAFA:
Es deutet einiges darauf hin, dass legacy media, aber auch Blog-Seiten nur noch Zulieferer für ein von Social-Media-Firmen dominiertes Online-Ökosystem werden. Journalismus wird so zum Unterfall der Konvergenzökonomie. Droht Online-Magazinen und News-Seiten das gleiche Schicksal wie Zeitungen zur Jahrtausendwende? Jüngste Berichte über Umsatzrückgänge und Entlassungen bei zwei der populärsten Nachrichtenplattformen, Buzzfeed und Mashable, deuten darauf hin. Dank des wachsenden Einflusses von Facebooks News Feed werden Artikel mehrheitlich über Smartphones und vor allem nicht mehr auf den eigenen Webseiten der jeweiligen Anbieter gelesen. Von der Vergrößerung der Leserschaft durch „Instant Articles“ profitieren in erster Linie Facebook & Co.; für die Homepage der jeweiligen Publikation gehen in der Konsequenz der Traffic und damit auch die Werbeeinnahmen zurück.
Zu den Gewinnern zählen auch die Hersteller von Online-Spielen wie Microsoft und Tencent:
Einen wachsenden Markt stellen schließlich die Produktion und der Vertrieb von Videospielen dar. Sony, Time Warner, Facebook, Vivendi, Tencent, Microsoft und Amazon haben mittlerweile erfolgreiche Games-Geschäftsbereiche etabliert. Mit Activision, Electronic Arts und Nintendo sind zudem drei reine Games Publisher im Ranking der größten Medienkonzerne vertreten. Das wichtigste Produkt von Sony ist – nach der schrittweise erfolgten Abspaltung seines TV- und Mobil-Hardware-Segments – die Playstation 4. Die Konsole, die durch die Verzahnung mit YouTube, Netflix, Amazon Video und der Sony-eigenen Streaming-Plattform Crackle mehr Multimedia-Set-Top-Box als reine Spielkonsole ist, hat sich weltweit mehr als 40 Mio Mal verkauft, das Microsoft-Pendant Xbox One 20 Mio Mal. Der erfolgreichste Entertainment-Launch des Jahres 2015 war nicht etwa ein Kino-Blockbuster, sondern das Videospiel „Fallout 4“, das innerhalb von 24 Stunden 750 Mio Dollar umsetzen konnte.
Während die klassischen Medienhäuser noch immer nach dem lukrativen Online-Geschäftsmodell fahnden, sind Nintendo, Tencent, Sony, Microsoft und andere schon mehr als einen Schritt weiter:
Während Zeitungshäuser nach wie vor nicht wissen, wie sie ihre Online-Leser zum Bezahlen bringen können, machen Games Publisher mit kostenpflichtigen Zusatzinhalten vor allem auf mobilen Geräten Milliardengewinne. Zudem werden Games-Firmen, deren weltweiter Umsatz bis 2017 auf über 100 Mrd Dollar ansteigen wird, zunehmend zu Filmstudios: Activision, Nintendo und Ubisoft sind mittlerweile in die Filmproduktion eingestiegen, um die Popularität ihrer Titel und Charaktere für Kinofilme und Fernsehserien zu nutzen.
Der öffentliche-rechtliche Rundfunk befindet sich auf dem Rückzug. Selbst einstige Flaggschiffe wie die BBC bekommen die Entwicklung zu spüren. Noch bescheidener fällt der Ausblick für ARD und ZDF aus:
Es ist weiterhin unklar, wie viel der deutschen Rundfunkbeitragsgelder ins Programm fließen und wie viel in Verwaltung und Pensionsrückstellungen, wie viele Millionen Euro die Experten bei Sportübertragungen für wenige Stunden Arbeit erhalten und warum rechercheintensive Dokumentationen nicht ins Schaufenster der Primetime gestellt werden. Während ältere Generationen den öffentlich-rechtlichen Sendern weiterhin treu bleiben werden, ist es nur schwer möglich, ein jüngeres, zunehmend der englischen Sprache mächtiges Publikum dauerhaft zu binden – trotz Versuchen, digitale „Jugendkanäle“ ins Leben zu rufen. Ein Szenario für die die kommenden Dekaden könnte ein auf politische Berichterstattung und Regionalsendungen beschränkter öffentlich-rechtlicher Rundfunksektor sein, der akzeptiert hat, dass er es mit den Produktionskapazitäten von Netflix, YouTube und Amazon nicht mehr aufnehmen kann.
Der Wandel der Branche wird bezogen auf Deutschland besonders gut am Beispiel Bertelsmann deutlich: Das Unternehmen, das schon mal der größte Medienkonzern der Welt war, dümpelt seit Jahren beim Umsatz vor sich hin. Selbst stagnierende, und damit inflationsbereinigt rückläufige, Umsätze werden als Erfolg verkauft. Die Gewinne stammen im überproportionalem Verhältnis vom Sender RTL, der wahrlich nicht als Produzent anspruchsvoller Medienformate bekannt ist. Es ist absehbar, dass RTL früher oder später unter die Räder kommt. Hier sind Youtube, Tencent, Amazon, Netflix, facebook & Co. in einer deutlich stärkeren Position. Sie verfügen nicht nur über den Content, sondern vor allem auch über die Kanäle und die Technologie. Hier haben die alten Medienkonzerne, wie Bertelsmann, nur noch wenig entgegenzusetzen.
Am Beispiel von Bertelsmann wird jedoch auch deutlich, wie problematisch die Klassifizierung/Kategorisierung als Medienkonzern inzwischen ist. Hachmeister und Wäscher schreiben:
Wir definieren Medienkonzerne als Unternehmen, die publizistische Inhalte in Massenmedien verantwortlich erstellen und/oder verbreiten sowie maßgebliche Teile ihres Umsatzes mit Erlösen aus Rechten/Lizenzen und/oder Werbung erzielen und nicht als reine Telekom- oder Technik-Provider auftreten. Ferner werden Konzerne berücksichtigt, die durch Produktion und/oder Distribution maßgeblichen Einfluss auf die kommunikative Umwelt eines breiten Publikums haben. Die Geschäftsfelder und Branchen, in denen diese Konzerne im Wesentlichen aktiv sind, umfassen Film- und Fernsehproduktion und -distribution, Streaming- und Social-Media-Dienste, Bücher-, Zeitungs- und Magazinverlage, Radiostationen und Musiklabels sowie Games Publishing und Fachinformationsdienste. Es gibt keine mathematisch trennscharfe Definition von Medienkonzernen, auch die Abgrenzung zur Telekommunikationsindustrie ist mitunter schwierig, aber unser Kategoriensystem hat sich über die Jahre doch als recht brauchbar erwiesen.
Dann verstehe ich nicht, weshalb Amazon, SoftBank und Alibaba nicht im vollem Umfang aufgeführt werden, denn: Bertelsmann erzielt mit arvato einen Großteil seines Umsatzes als Logistik-Unternehmen. Noch deutlicher wird das bei der Verteilung der Mitarbeiterzahlen: Von den gut 120.000 Mitarbeitern sind ca. 70.000 bei arvato beschäftigt. Wenn wir also Bertelsmann mit seinem gesamten Umsatz als Medienkonzern aufführen, dann muss das auch für Amazon und auch schon für SoftBank und Alibaba gelten. Es fehlen weiterhin Unternehmen, die vielleicht nicht auf den ersten Blick dem Modell eines Medienkonzerns nach Hachmeister und Wäscher entsprechen, jedoch m.E. dazu gezählt werden müssen, wie der Halbleiter-Hersteller Nvidia oder Adobe. Hachmeister und Wäscher denken hier noch in tradierten Kategorien, die den neuen Realitäten kaum noch entsprechen. Auch die Telcos wollen sich nicht mehr auf ihren Status als Informationsdurchleiter beschränken und in das Geschäftsfeld mit den Daten einsteigen, wie etwa Telefonica.
Kurzum. Wie benötigen ein neues Koordinatensystem.
[…] einiger Zeit wurde auf diesem Blog in Medienindustrie in Auflösung moniert, dass die Definition dessen, was ein Medienkonzern ist, nicht mehr zeitgemäß ist. Wenn […]
[…] druckt und vielleicht noch Fernsehen mit eigenen Serien im Angebot hat, ist überholt. Die Medienindustrie, da ist Hachmeister zuzustimmen, löst sich auf. Neue Kategorien bilden sich. Der Begriff „Informationsintermediär“ ist demnach ein […]
[…] Die Südwestdeutsche Medienholding ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt. Das gilt jedoch nicht für ihre wichtigste Beteiligung, die Süddeutsche Zeitung, immer noch die auflagenstärkste Zeitung Deutschland; wenngleich über Jahre mit deutlich fallender Tendenz. Mit insgesamt 6.100 Mitarbeitern und einem Umsatz von annähernd 900 Mio. Euro im Jahr 2016 gehört die Südwestdeutsche Medienholding zu den größten Medienkonzernen Deutschlands, obschon auch dies allein kein Gütesiegel mehr ist, wie die Aufstellung der größten Medienkonzerne der Welt zeigt (Vgl. dazu: Medienindustrie in Auflösung). […]