Von Ralf Keuper
Das Verhältnis des klassischen Journalismus zum Bürgerjournalismus (in Form von Blogs) ist ein angespanntes. Einmal mehr wurde das bei dem FAZ-Bürgergespräch zur “Lügenpresse” deutlich. FAZ-Herausgeber Werner D’Inka warnte dabei vor einer journalistischen De-Professionalisierung. Kress zitiert ihn mit dem Satz “Steile Thesen machen noch keinen Journalismus”.
Da ist kaum Widerspruch möglich.
Weiterhin sagte D’Inka, Blogger würden die Recherche-Arbeit den Mainstream-Medien überlassen und sich an ihren Früchten bereichern. Das rief u.a. den Widerspruch von Gregor Keusching hervor, den er in seinem Beitrag Wenn Qualitätsjournalisten operieren in Worte fasste.
Auch die Qualitätsmedien, so Keusching, seien im hohen Maß von den Meldungen der diversen Nachrichtenagenturen abhängig. Von Recherche kann nur noch in Ausnahmefällen die Rede sein.
Hinzufügen möchte ich, dass die Recherche heutzutage immer häufiger von Bloggern betrieben wird, auf die Journalisten zurückgreifen, was an sich nicht verwerflich ist. Es handelt sich daher nicht um eine Einbahnstraße. 
Wie gut bzw. schlecht es um den Qualitätsjournalismus bestellt ist, konnte ich selber vor einigen Tagen feststellten, als ich auf den Beitrag 200 Jahre Westfalen. Das Land hinter dem Bindestrich im Feuilleton der FAZ noch am selben Tag mit dem Blogbeitrag Westfalen als Spätentwickler? Nichts weniger als das, antwortete, da der FAZ-Beitrag große Lücken und Stereotypen enthielt und obendrein noch äußerst schlecht recherchiert war. 
Mein Kommentar auf FAZ-Online, in dem ich auf meinen Blogbeitrag verwies, wurde nicht freigeschaltet. Die Kommentarfunktion wurde für den Beitrag gleich deaktiviert 😉
Meine Rückfragen per twitter an das Feuilleton der FAZ, cc Jürgen Kaube, nach den Gründen blieben unbeantwortet. 
In der guten alten Zeit hatte der Leser, wenn er Kritik an einem Beitrag äußern wollte, nur die Möglichkeit, einen Leserbrief zu verfassen. Ob dieser dann veröffentlicht wurde, und falls ja, in der vollen Länge, lag im Ermessen der Redaktion. Diese Zeiten sind vorbei. Der Homo Digitalis erlernt den aufrechten Gang, der devote Leserbriefschreiber stirbt aus.
Überhaupt scheint in vielen Redaktionen noch nicht bekannt zu sein, dass dort draußen im Netz viele Menschen unterwegs sind, die in bestimmten Bereichen, die sie interessieren, eine Expertise haben, die nicht selten weit über die der Journalisten hinausgeht, die mehr vom Tagesgeschehen geleitet werden. 
Journalisten verfügen gegenüber anderen Akademikern, an denen in Deutschland kein Mangel herrscht, kaum über einen Wissens- bzw. Informationsvorsprung. Eher ist es umgekehrt. Wer sich in seinem Metier etwas auskennt, wundert sich nur allzu oft, wenn er Artikel aus der Feder eines Journalisten liest, die belegen, wie wenig der betreffende den Sachverhalt, die Branche kennt. Jeder Insider ohne Hochschulbabschluss kann über einige Beiträge wohl nur den Kopf schütteln.
In der Vergangenheit fielen die zahlreichen Wissenslücken der Redakteure kaum auf, da viele den Aufwand scheuten, einen Leserbrief zu verfassen, der evtl. nicht veröffentlich wurde. Heute ist man auf die Gnade der Redaktion nicht mehr angewiesen.
Ein guter Journalist muss m.E. nicht die Expertise haben, wie die “echten” Fachleute; das wäre auch realitätsfern. Jedoch sollte sie oder er in der Lage sein, die richtigen Fragen zu stellen, verborgene Zusammenhänge aufzudecken und Widersprüche kenntlich zu machen. Insider neigen nämlich auch zur Betriebsblindheit. Allerdings sind nach meinem Eindruck nur noch wenige Journalisten dazu in der Lage, was wohl auch auf die Ausbildung zurückzuführen ist, die ein Denken in Schablonen fördert. 
Eins ist sicherlich richtig: Blogger können die Funktion, wie sie der Journalismus in seinen besseren Zeiten wahrgenommen hat, nicht vollständig ersetzen. Dazu fehlen ihnen letztlich die finanziellen sowie auch andere Ressourcen. Sie sind ihrem Wesen nach Micromedien, die minimal-invasiv, mikrotherapeutisch vorgehen. Daneben benötigen wir Macromedien, die über entsprechenden Ressourcen verfügen, intensive Recherchen zu betreiben und finanziell in der Lage sind, Drohungen auszuhalten, wie z.B. der britische Guardian. Alles anderes ist mehr oder weniger “Qualitäts-PR”, wovon es im Journalismus inzwischen mehr als genug gibt. 

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