Von Ralf Keuper

Ein Bild sagt bekanntlich mehr als tausend Worte. Wozu also jetzt, in der Digitalmoderne, noch Texte verfassen, wo doch so viele Möglichkeiten zur Verfügung stehen, Inhalte mittels Bildern und Videos zu veröffentlichen, die mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen, als jeder noch so gut geschriebene und gehaltvolle Text?

Robert Kindermann führt in seinem Beitrag Hat der Text eine Chance? Warum sich die Printbranche jetzt bewegen muss einige Argumente an, weshalb die Printbranche visueller werden muss. Wissen und Informationen lassen sich, so der Autor, in bewegten Bildern mit Interaktionsmöglichkeiten weitaus besser verarbeiten, als Texte es können. Kurzum: Text langweilt. Zu anstrengend, zu wenig Unterhaltungswert.

Nur – muss bzw. kann Wissensvermittlung überhaupt ohne ein gewisses Maß an Anstrengung gelingen? Reicht es also, sich von Bildern berieseln zu lassen oder mit den Bildern zu arbeiten, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen oder neues Wissen aufzunehmen bzw. sich anzueignen?

Wäre dem so, dann müssten Fotoreportagen, Comics, Karikaturen, Online Spiele und andere visuelle Medien  eine weitaus höhere Akzeptanz bei der Wissensvermittlung haben. Gerade die Beispiele Fotoreportagen und Filmberichte zeigen, wie groß die Gefahr der Manipulation ist. Mit Bildern zu manipulieren, das weiß und wusste man in den Propagandaabteilungen nur zu gut, ist deutlich wirkungsvoller als mit Text. Ob die Möglichkeit, mit den Bildern zu interagieren, an diesem Defizit etwas ändern kann?

Übrigens ist auch das Lesen ein visueller Vorgang.

Wie auch immer. Das Lesen, ebenso wie das Schreiben zählt zu den Kulturtechniken, die nicht ohne Grund, allen technologischen Fortschritten zum Trotz, ihre Rolle haben behaupten können.

Die Fähigkeit zu lesen ist uns Menschen nicht angeboren, sondern hat sich erst im Lauf der Evolution entwickelt, wie Maryanne Wolf in Das lesende Gehirn. Wie der Mensch zum Lesen kam – und was es in unseren Köpfen bewirkt darlegt.

Sie schreibt:

Im Gegensatz zu seinen Komponenten, wie das Sehen und das Sprechen, die genetisch organisiert sind, existiert für das Lesen kein unmittelbares genetisches Programm, das es an die zukünftigen Generationen weitergibt. … Dies ist ein Grund, warum sich das Lesen – wie jede kulturelle Erfindung – von anderen Prozessen unterscheidet und warum es unseren Kindern nicht ganz von selbst in den Schoß fällt, wie etwa Sehen oder Sprechen, die vorprogrammiert sind. …

Erstens führt das Lesen in einer beliebigen Sprache zu Umstrukturierungen kreuz und quer im Gehirn. Zweitens gibt es viele unterschiedliche Nervenbahnen, die zu einem problemlosen Textverständnis beitragen können, wobei die Effizienz von einem Schriftsystem zum anderen kontinuierlich variiert und verschiedenen Formen annehmen kann. Faktoren wie Zahl der Symbole in einem Schriftsystem, die Lautstruktur der Sprache, der Grad der Regularität in einer Schriftsprache, der Abstraktionsgrad sowie das Ausmaß der motorischen Beanspruchung beim Lesen einer Schrift beeinflussen sowohl die Effizienz wie auch die spezifischen Schaltkreise des betreffenden Systems. In ihrer Gesamtheit bestimmen sie mit, wie leicht der Leseerwerb einem Anfänger fallen wird.

Nach diesen grundsätzlichen Überlegungen wendet sich die Autorin der Rolle von Bildern und Filmen bei der Wissensvermittlung zu:

Kann die tiefgründige Analyse von Wörtern, Gedanken und Wirklichkeit in einer Lernatmosphäre erfolgen, die fortwährend von geteilter Aufmerksamkeit und Multitasking geprägt ist? Kann die Essenz eines Wortes, einer Sache oder einer Idee bedeutsam bleiben, wenn so viele Lerninhalte in 30-Sekunden Segmenten über einen Bildschirm flimmern? Sind Kinder, die an immer realistischere Bilder von der Welt um sie herum gewöhnt sind, vielleicht immer weniger in der Lage, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen? Glauben wir eher, dass wir die Wahrheit oder Wirklichkeit von etwas erfassen, wenn wir es auf Fotos, in Filmen und Videos oder im “Reality TV” betrachten können?

In einem Interview (“Susan Greenfield über Verstand”) mit der Süddeutschen Zeitung vom 11./12. August 2012 hob die britische Hirnforscherin und Schriftstellerin Susan Greenfield die Bedeutung des linearen Denkens hervor, das durch die Cyberworld unterminiert werde:

Ein Buch hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Ein Satz hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. .. Es folgt ein Schritt nach dem anderen. Das ist, was einen Gedanken im Gegensatz zu einem Gefühl ausmacht. Ein Gedanke, ob Erinnerung oder rationale Argumentation, hat eine solche Abfolge. Aber wenn man am Computer sitzt, dann greift man wahllos auf Dinge zu. Ich fürchte, dass Menschen dabei die Fähigkeit verlieren können, wirklich tief gehend, also linear zu denken. Es ist anstrengend. Aber nur so kann man das Gehirn trainieren.

In China und Japan gilt die Kalligrafie als höchste aller Künste. Übrigens hat Steve Jobs nach eigener Aussage sehr von seiner Beschäftigung mit Kalligrafie profitiert.

Wir sollten daher nicht zu voreilig sein und, bildhaft gesprochen, das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.

Wo Visualisierungen zum besseren Verständnis zum effektiveren Wissenserwerb beitragen können, ist in den Bereichen Informationsvisualisierung und Informationsdesign. Jedoch gilt es auch hier, bestimmte, wissenschaftliche Regeln zu befolgen, wie Stephen Few erst kürzlich wieder einem Beitrag betonte:

Sourcing data from the wild rather than from controlled experiments in the lab has always been an important avenue of scientific study. These studies are observational rather than experimental. When we do this, we must carefully consider the many conditions that might affect the behavior that we’re observing. From these observations, we carefully form hypotheses, and then we test them, if possible, in controlled experiments. Large social media data sets don’t alleviate the need for this careful approach. I’m not saying that large stores of social media data are useless. Rather, I’m saying that if we’re going to call what we do with it data science, let’s make sure that we adhere to the principles and practices of science. How many of the people who call themselves “data scientists” on resumes today have actually been trained in science? I don’t know the answer, but I suspect that it’s relatively few, just as most of those who call themselves “data analysts” of some type or other have not been trained in data analysis. No matter how large the data source, scientific study requires rigor. This need is not diminished in the least by data volume. Social media data may be able to reveal aspects of human behavior that would be difficult to observe in any other way. We should take advantage of this. However, we mustn’t treat social media data as magical, nor analyze it with less rigor than other sources of data. It is just data. It is abundantly available, but it’s still just data.

Um von den Möglichkeiten der Informationsvisualisierung sinnvollen Gebrauch machen zu können, müssen wir über die entsprechenden Methoden verfügen und sie auch anzuwenden verstehen. Diese Aufgabe kann künftig jeder einzelne in weitaus größerem Umfang als bisher wahrnehmen. Dafür braucht es eigentlich keine Vermittler wie Journalisten mehr.

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