Von Ralf Keuper

Sind Daten inzwischen die “Neuen Medien”? – Diese Ansicht vertritt Jörg Blumtritt in seinem lesenswerten Blogbeitrag Data is the new Media.

Als These formuliert er darin:

Daten als Medien – das gilt nicht nur für die Inhalte. Werbung, die ja im Großen und Ganzen schon seit Jahrzehnten durch Daten getrieben wurde, ist heute in einem gewaltigen Umbruch begriffen.

Mehr noch: Daten sind inzwischen dabei, unser Selbstbild zu beeinflussen:

Mit der Idee des ‘Quantified Self‘ beginnen Daten sogar unsere Vorstellung von Identität zu erobern. Wir sind nicht nur, was wir sagen, wie wir erscheinen, wie wir willkürlich handeln, vielmehr sind wir ebenso durch unser Innenleben definiert, unsere körperlichen Funktionen, durch die Daten, die unser physisches Selbst erzeugt. Die Konzeption des Selbst verändert sich durch diese Betrachtungsweise, indem die strenge Trennung von Geist und Körper, von bewusst und unbewusst überwunden wird. Die physischen Aspekte unseres Lebens treten nun als gleichbereichtiger, wahrhaftiger Teil unseres Selbst auf.

Das ist in der Tat eine steile These. Was würde Freud wohl dazu sagen?

Selbsterkenntnis durch Daten? Das erscheint mir dann doch zu ambitioniert. Daten bedürfen der Interpretation, um Sinn stiften und Orientierung geben zu können. Das ist nicht selten ein spekulativer, subjektiver Vorgang, wenngleich die Hermeneutik hier sicherlich einige Hilfestellungen geben kann.

Woher kommen die Daten, wie, nach welchen Regeln, werden sie erhoben und verarbeitet? Wer bestimmt die Regeln, die Algorithmen?

Ist die strenge Trennung von Geist und Körper durch die Datenrevolution, fast könnte man von einer Revolte der Daten sprechen, tatsächlich hinfällig?

Mark B. N. Hansen steht dieser Auffassung sehr nahe, obgleich er den Begriff des Superjekts einführt, um die Trennung zwischen Subjektivität und Objektivität zu überwinden.

An einer Stelle schreibt er:

Es ist wichtig, dass wir das Wesen der Teilhabe des Körpers an den heutigen atmosphärischen Medienumgebungen verstehen: hier geht es nicht darum, dass der Körper nicht mehr länger involviert oder wichtig sei, sondern dass er sein Vorrecht als paradigmatischer “Rahmer von Informationen” eingebüßt hat. .. Wir können sogar behaupten, dass der Körper eins wird mit der einfassenden Umwelt, aus der er hervorgeht. In dieser Hinsicht werden Medien in erster Linie als “atomistische” Empfindungen in allen Größenordnungen erfahren; erst danach – und auf einer weit höheren Organisationsebene – werden sie als “Gegenstand” von Wahrnehmungen erfahren. (in: Medien des 21. Jahrhunderts, technisches Empfinden und unsere originäre Umweltbedingung, aus: Die technologische Bedingung. Beiträge zur Beschreibung der technischen Welt, hrsg. von Erich Hörl)

Da klingen durch die Zeilen die Gedankenwelten von Heidegger und Whitehead. Angestrebt bzw. vollzogen wird eine ontologische Sicht auf die Medien – quasi eine Medienontologie. Da diese vom Sein und/oder dem Wesen des Seins ausgeht, kann sie nur in allumfassender Weise argumentieren. Sie zielt immer auf das Ganze, sie muss es tun. Begrenzungen fundamentaler Art sind ihr (wesens-)fremd. Doch gerade das, die Grenzen, stehen zur Diskussion. Können Daten diese Grenzen als Ausdruck des “Seins”, gleichgültig welcher philosophischen Richtung man folgt, einebnen?

Wohl kaum. Brüche, Diskontinuitäten werden auch durch die Daten nicht überwunden. Das “Selbst” des Menschen bleibt ein Geheimnis, das sich auch mit noch so viel Daten nicht vollständig entschlüsseln lässt.

Wie sagte schon Karl Jaspers in Existenzerhellung ist keine Ontologie:

Da aber Existenz nicht als Objekt und nicht als objektiviertes Subjekt sein kann, sondern Ursprung bleibt, der in Subjektivität und Objektivität nur appellierend zu erhellen ist, so würde Existenzerhellung vereitelt, wenn sie sich als ontologische Lehre entwickelte.

 

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