Von Ralf Keuper
Die zunehmende Verbreitung von Streaming-Diensten sorgt unter Vertretern der klassischen Medien verständlicherweise für Unbehagen. Streaming-Plattformen seien Energiefresser und überdies ein weiteres Beispiel dafür, wie sehr unsere Alltagsgewohnheiten von neoliberalen Prinzipien, wie dem Individualismus, durchdrungen werden (Vgl. dazu: Streaming: Der letzte Triumph des Neoliberalismus?). Was ist an Individualismus schlecht? Sollen wir uns wirklich die Zeiten zurückwünschen, als Sendungen wie der Blaue Bock noch Grundpfeiler des “zwangsunionierten Familienlebens” waren? Drohen die Menschen, wenn sie nicht mehr von einigen wenigen öffentlich-rechtlichen Sendern mit Sendungen zu festen Zeiten versorgt werden, sich der Kontrolle zu entziehen? Werden sie gar aufmüpfig und unberechenbar? Bedürfen sie der ständigen Erziehung bzw. der Betreuung? Sie sollen weiterhin stumm vor dem Fernseher sitzen, die Füße still halten, brav die Beiträge zahlen und gefälligst dankbar sein.
Eher ist es wohl so, dass die klassischen Medien einen, wie Vilém Flusser sagen würde, veralteten Schaltplan anwenden. Ihr Modus ist nach wie vor die Verbündelung:
Die Massenmedien senden Bündel von Informationen an Empfänger, die darauf nicht direkt antworten können und damit in gewisser Weise als unmündig betrachtet werden. Die Vernetzung dagegen erschafft kleine Inseln der Kommunikation. Hier verläuft die Kommunikation anders – direkt vom Sender zum Empfänger und zurück. Im besten Fall ein Dialog also.
Die Vernetzung funktioniert dagegen nach anderen Prinzipien:
Die informatische Revolution strukturiert die informatische Lage um, genauer: Sie baut den öffentlichen Raum ab. Die Informationen drängen jetzt in den Privatraum, um dort empfangen zu werden. Geschäfte, Banken, Schulen, Kinos und alle übrigen öffentlichen Orte werden von den neuen Technologien ausgeschaltet. Die Sender der Informationen müssen dank dieser Technologien nicht mehr publizieren, sondern sie können durch verzweigte Kanäle ihre Informationen an die einzelnen Empfänger verteilen lassen. Wo bisher der öffentliche Raum, der Stadtplatz, das Forum offenstand, werden in naher Zukunft strahlenförmig und netzförmig strukturierte Kanäle liegen. Die Menschen werden an den Ausgängen dieser Kanäle sitzen, um Informationen zu empfangen und zu senden (in: Medienkultur)
Die öffentlich-rechtlichen Sender sind vollauf kompatibel mit den neoliberalen Prinzipien; man schaue nur auf wie Werbeeinnahmen und die Quotenfixierung. Insofern ist der Gegensatz non-lineares Fernsehen – lineares Fernsehen konstruiert. Die Qualität der meisten Sendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ist nun wirklich nicht dazu angetan, bei den Zuschauern Trennungsängste hervorzurufen. Sicher – das lineare Fernsehen hat durchaus seine Vorzüge, und die Sendungen von arte und vieler Dritter Programme sind qualitativ hochwertig. Sie sollten nicht verschwinden. Diese Aussage trifft auf Formate wie Traumschiff, die Helene Fischer-Show, Comedy-Shows oder Talk Shows in weit geringerem Maße zu. Das können die privaten Sender genauso gut oder schlecht.
Es geht hier weniger um Neoliberalismus oder Energiefragen, sondern eher um Fragen der Besitzstandswahrung. Die Medienwandel wird dafür sorgen, dass alle Bestrebungen in dieser Richtung vergeblich sind.