Es genügt schon, die amerikanischen oder europäischen politischen Wochenzeitschriften, die linken wie die rechten, den Spiegel oder Time durchzublättern: Sie haben alle die gleiche Perspektive auf das Leben, was sich in der gleichen Abfolge ihrer Inhaltsübersichten, in gleichen Rubriken, gleichen journalistischen Formen, im gleichen Vokabular und Stil, in den gleichen künstlerischen Geschmacksausrichtungen und in der gleichen Hierarchie dessen niederschlägt, was sich wichtig und was sie unbedeutend finden. Dieser Gemeinsinn der Massenmedien, der sich hinter ihrer politischen Vielfalt tarnt, ist der Geist unserer Zeit. Dieser Geist scheint mir dem Geist des Romans zu widersprechen.
Der Geist des Romans ist der Geist der Komplexität. Jeder Roman sagt zu seinem Leser: “Die Dinge sind komplizierter, als du denkst”. Das ist die ewige Wahrheit des Romans, die sich aber im Lärm der einfachen, schnellen Antworten, die der Frage vorausgehen und sie ausschließen, immer weniger Gehör verschaffen kann. ..
Der Geist des Romans ist der Geist der Kontinuität: Jedes Werk ist Antwort auf die vorausgegangenen Werke, jedes Werk enthält die ganze frühere Erfahrung des Romans. Aber der Geist unserer Zeit ist aufs Aktuelle fixiert, das so raumgreifend, so umfassend ist, dass es die Vergangenheit aus unserem Gesichtskreis verbannt und die Zeit auf den eigenen gegenwärtigen Augenblick reduziert. Der in dieses System eingebundene Roman ist nicht mehr Werk (also etwas, das dauern, das die Vergangenheit mit der Zukunft verbinden soll), sondern aktuelles Ereignis wie andere Ereignisse, eine Geste ohne Morgen.
Quelle: Die Kunst des Romans. Essay