Es gab einmal das Paläo-Fernsehen, das in Rom und Mailand für alle Zuschauer produziert wurde, es berichtete über die Amtseinführung von Ministern und sorgte dafür, dass dem Publikum nur harmlose Dinge vorgesetzt wurden, auch wenn es ihm dazu etwas vorlügen musste. Heute, mit der Vielzahl von Kanälen, dem Privatfernsehen und dem Aufkommen neuer elektronischer Teufeleien, leben wir in der Epoche des Neo-Fernsehens. Zum Paläo-TV hätte man ein kleines Lexikon mit den Namen der Protagonisten und den Titeln der Sendungen erstellen können. Zum Neo-TV wäre das unmöglich, nicht nur wegen der unüberschaubar gewordenen Zahl von Personen und Sparten und nicht nur, weil es niemand mehr schafft, sich an sie zu erinnern oder sie wiederzuerkennen, sondern auch, weil dieselbe Person jetzt verschiedene Rollen spielt, je nachdem, ob sie im staatlichen oder im privaten Fernsehen auftritt. …

Die Haupteigenschaft des Neo-TV ist, dass es immer weniger von der äußeren Welt spricht. Es spricht von sich selbst und von dem Kontakt, den es zu seinem Publikum herstellt. Dabei kommt es nicht darauf an, was es sagt und wovon es handelt. Um sich angesichts dieser Macht des Wegschaltens zu behaupten, versucht das Neo-TV den Zuschauer zu halten, indem es ihm sagt: “Ich bin hier, ich bin ich, und ich bin du”. Die wichtigste Nachricht, die das Neo-TV seinen Zuschauern liefert, gleich ob es von Raketen spricht oder von Stan Laurel, der einen Schrank fallen lässt, lautet: “Ich verkündige dir das Wunder, dass du mich gerade siehst. Wenn du es nicht glaubst, überprüf es, wähl diese Nummer und ruf mich an, ich werde dir antworten”. Endlich, nach so vielen Zweifeln, eine Gewissheit: Das Neo-Fernsehen existiert. Es ist echt, denn es ist garantiert eine Erfindung des Fernsehens.

Quelle: Fernsehen: Die verlorene Transparenz (1983), in: TeleGen – Kunst und Fernsehen

Von McLuhan

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