Von Ralf Keuper
Seit Jahren, Jahrzehnten werben verschiedene Bücher mit Techniken, die ein schnelleres Lesen ermöglichen sollen. Ein Klassiker dieses Genres dürfte Wolfgang Zielkes Schneller lesen, intensiver lesen, besser behalten sein. Indes, der Erfolg wollte sich nicht bei jedem einstellen. 
Dank spezieller Apps scheint dieses Ziel endlich in greifbare Nähe gerückt. Nicht weniger als 1.000 Wörter in der Minute lesen zu können, verspricht die App “Spritz”
Wie so oft, so regen sich auch hier bei einigen Zweifel, ob das rasende Lesen wirklich die hochgesteckten Erwartungen erfüllen kann, und man demnächst Marcel Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit während der Fahrt zur Arbeit oder während einer etwas ausgedehnten Mittagspause endlich als Gelesen abhaken kann. Welcher Leser träumt nicht davon? Top-Kandidaten bei mir wären, neben Prousts Meisterwerk, Hermann Brochs Die Schlafwandler und James Joyces’ Ulysses. Allein ich fürchte, dass auch die beste App mir nicht dabei helfen wird, diese empfindliche Lücke dereinst zu schließen.
Wie auch immer.
Bereits vor einigen Wochen setzte sich der Beitrag Beschleunigte Buchstaben in der SZ vom 05.09.2014 kritisch mit den neuen Leseprogrammen, wie Spritz, auseinander. 
Im Vergleich zu den bekannten Lesetechniken und den neuen Leseprogrammen nach wie vor exotisch, ist das Programm, das Aldous Huxley in seinem Buch Die Kunst des Sehens. Was wir für unsere Augen tun können als Hilfe anbietet. Darin stellte er dem Leser sogar in Aussicht, durch regelmäßige Anwendung der Übungen, beim Lesen nicht mehr auf eine Brille angewiesen zu sein. 
In dem bereits erwähnten Beitrag in der SZ kommt u.a. der Psychologe Ralph Radach von der Universität Wuppertal zu Wort. Dieser rät angehenden Schnelllesern: 

Sie müssen sich vorher ihr Ziel klar machen. Muss ich den Text überhaupt lesen? Und wenn ja, warum? 

Keinesfalls, so Radach, sollte Lesen als lästige Pflicht angesehen werden, der man sich dank neuester Technik möglichst schnell und effizient entledigen kann, nach dem Motto:

Ich muss das jetzt lesen, bringen wir’s hinter uns

Nun denn. Dann werde ich doch eher an meiner bewährten Methode festhalten, und mir Bücher, die ich nicht lesen kann oder will, als Hörbuch zu Gemüte führen, wie Thomas Manns Buddenbrooks. So schnell kann keine App werden, dass sie die Bügelfaltenprosa (Alfred Döblin) von Thomas Mann für mich in einen Lesegenuss verwandelt. 

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