Von Ralf Keuper

Auf den Medienmärkten hat in den letzten zehn Jahren eine (Macht-)Verschiebung stattgefunden, die zu weiten Teilen auf Netzwerkeffekte und den Einsatz von KI-Methoden zurückgeführt werden kann. Profiteure dieser Entwicklung sind die großen US-amerikanischen Technologie- und Internetkonzerne, wie Google, facebook und Apple. Für die nächsten Jahre ist davon auszugehen, dass die großen Plattformen ihre ohnehin schon dominante Marktstellung weiter ausbauen werden. Ihr Vorsprung bei der Anwendung von KI-Verfahren, die mit den auf ihren Plattformen reichlich vorhandenen Daten gefüttert und trainiert werden, um daraus personalisierte Werbung zu generieren, ist für europäische Medienkonzerne nahezu uneinholbar. So der Tenor des Berichts Künstliche Intelligenz – Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche, soziale und ökologische Potenziale, der sich u.a. mit den Auswirkungen auf den Medienmarkt beschäftigt.

Die alten Medienkonzerne haben erst relativ spät erkannt, welche Bedrohung für ihr Geschäftsmodell von den sog. Informations- und Medienintermediären ausgeht, die die Vorteile der Medienkonvergenz für sich zu nutzen bzw. maximieren wissen.

Man kann zunächst festhalten, dass aufgrund der Multikonvergenz sowohl im Endgerätemarkt als auch in der Mehrfachverwertung von Inhalten die Grenzen zunehmend erodieren, da vor allem große Plattformanbieter (Audio- und audiovisuelle Streaming-Anbieter) auch zunehmend in das Geschäft eigener Inhaltsproduktionen (insbesondere im Unterhaltungsmediensektor) einsteigen. … Die Geschäftsmodelle der Plattformanbieter mit durchgängigen Flatrates und, wie weiter unten beschrieben, zunehmendem Einsatz von KI bedeuten, dass die alten Geschäftsmodelle zunehmend rückläufig sind. Gewinner sind in den Medienmärkten diejenigen, die über digitale Plattformtechnologien Konsumentinnen und Konsumenten – auch mithilfe von KI – deutlich attraktivere skalierende Modelle anbieten können. Im Jahr 2018 haben die Nutzerzahlen von Streaming-Anbietern erstmals alle alternativen Distributionsformen mit knapp 12 Millionen Nutzerkonten (bei ggf. Mehrfachnutzung) überholt, und der Digitalumsatz machte 2018 schon knapp 60 Prozent des Gesamtumsatzes aus.

Der gezielte Einsatz von KI-Verfahren durch die Plattormbetreiber führt zu einer neuen Produktions- und Marktlogik.

Kombiniert mit der Tatsache, dass immer mehr Menschen ihre Hauptinformationen online im Freemium-Modell beziehen, wird schnell klar, dass die Auswirkungen der Digitalisierungen im Generellen und der Einsatz von KI-Systemen alternativer journalistischer Anbieter im Speziellen zu einer radikalen Veränderung der Märkte führen und weiter führen werden. Hier zeigt sich darüber hinaus, betrachtet man allein die Reichweite journalistischer Medien im Juni 2020, dass es nicht mehr nur die üblichen Tageszeitungsanbieter, sondern zunehmend andere Anbieter sind, die den Markt bestimmen. Entsprechend verschieben sich auch die Werbeeinnahmen. In nur zehn Jahren sind diese von einem Niveau von ca. 3,7 Milliarden Euro pro Jahr auf knapp 2,4 Milliarden Euro pro Jahr zurückgegangen, und auch die Umsätze sowohl der verkauften Auflagen als auch der Online-Angebote kompensieren diese Verluste nicht.

Noch im Jahr 2008 dominierten die alten Medienkonzerne wie Disney, Time Warner und Bertelsmann den internationalen Medienmarkt. Das hat sich in nur wenigen Jahren fundamental geändert:

Ein Blick auf die aktuellen globalen Top-50-Medienkonzerne zeigt deutlich, wie stark dabei heute schon die Medienintermediäre das Geschäft bestimmen. Weiterhin ist zu beobachten, wie groß inzwischen die Umsatzdimensionen der globalen Medienkonzerne im Zehnjahresvergleich sind. Lagen die Umsätze der damaligen „Spitzenreiter“ im Jahr 2008 mit Time Warner (ca. 34 Milliarden Euro Umsatz) und Disney (ca. 25 Milliarden Euro Umsatz) noch in Größendimensionen, die auch der national größte Medienkonzern, Bertelsmann (ca. 19 Milliarden Euro), erreichen konnte, sind die heutigen globalen Markführer mit AT&T (ca. 145 Milliarden Euro) und Alphabet (bzw. Google ca. 116 Milliarden Euro) signifikant größer, wohingegen Bertelsmann immer noch bei ca. 18 Milliarden Euro Jahresumsatz verharrt.

Anders als die US-amerikanischen und chinesischen Medienkonzerne haben es die europäischen nicht vermocht, die Chancen die Digitalisierung zu nutzen:

Offenkundig haben die US- und asiatischen, primär chinesischen Konzerne überproportional deutlich von der Digitalisierung bzw. der Transformation der Medienmärkte profitiert, wohingegen die europäischen Medienkonzerne ihre Umsätze kaum signifikant vergrößern konnten. Diese Entwicklungen sind nicht direkt auf den Einsatz von KI-Technologien übertragbar. Es zeigt sich aber, dass europäische oder auch nationale Konzerne die Digitalisierung im internationalen Geschäft nicht nutzen konnten

Die Autoren beschreiben am Beispiel der Streaming-Plattformen, wie stark KI-Verfahren die Geschäftsmodelle beeinflussen. So kann schnell festgestellt werden, welche Serien bei den Zuschauern auf großen Zuspruch stoßen und welche nicht. Daraufhin kann die Produktion eigener Filme wie auch der Bezug von Filmen Dritter entsprechend angepasst werden. Von hoher Relevanz bei den Auswahlkriterien sind die Metadaten, die Antwort darauf geben, welche Filme von welchen Altersgruppen an welchem Ort zu welcher Uhrzeit wie lange angeschaut wurden bzw. nach welchen Inhalten die Nutzer zuvor gesucht haben. Dadurch lassen sich Klassifikationssysteme und Bibliotheken anlegen, welche ein möglichst aussagekräftiges Abbild des Mediennutzungsverhaltens liefern. Ein wichtiger Investitionsposten sind Technologien und Verfahren zur Bild- und Datenkompression, wodurch auch große Mengen an Filmen ohne Unterbrechung bereitgestellt werden können.

Wenngleich Konzerne wie Google und facebook – technologisch betrachtet – verschiedene Strategien verfolgen, Google setzt vor allem die Macht seiner Suchmaschine, facebook dagegen auf die direkte Kommunikation der Nutzer auf ihren Plattformen untereinander – liegt ihr Fokus fast ausschließlich auf dem online-Werbermarkt. Ihm gelten all ihre Bestrebungen.

Aufgrund des höheren Wertes der Online-Werbung durch die zielgenaue Positionierung im Vergleich zur Streuwirkung der traditionellen Werbeformen zeigen sich signifikante Auswirkungen auf traditionelle Medienangebote, die bereits weiter oben thematisiert wurden.1837 Letzten Endes schaffen somit auch die Informationsintermediäre, insbesondere die Social-Media-Anbieter, Werberaum, der durch KI-Systeme eine zielgenaue Ansprache von Kundinnen und Kunden zulässt. Insgesamt schätzen die Expertinnen und Experten von Statista, dass der digitale Werbemarkt im Jahr 2020 ca. 365 Milliarden US-Dollar ausmacht, Tendenz steigend. … Insbesondere auf Medienplattformen sind die durch KI möglichen Personalisierungen des Angebotes durch Empfehlungssysteme und deren Einfluss auf mögliche Produktionsentscheidungen dabei von hoher Relevanz.

Ziel ist es also, Content zu liefern, der hohe Klickzahlen generiert und die Leserinnen und Leser dazu veranlasst, auf Werbung zu reagieren. Die journalistische Qualität ist dabei eher nebensächlich.

Die Autoren formulieren einige Handlungsempfehlungen. Ihrer Ansicht nach für die Beschränkung der Debatte auf Schlagworte wie Plattformökonomie am Thema bzw. am eigentlichen Problem vorbei:

Die ausschließliche Betrachtung von Algorithmen der Steuerung von Social-Media-Aktivitäten würde ebenso wenig ausreichen wie der ausschließliche Blick auf Negativphänomene des Missbrauchs von KI-Technologien in sozialen Medien. Dies ist für alle Stufen der Wertschöpfung von Medien relevant und verändert die Märkte von Grund auf. Die Politik ist gefordert, nun geeignete Maßnahmen zur Modernisierung zu entwickeln, sodass auch in Deutschland der Einsatz von KI-Systemen zur Prosperität der Medienmärkte beiträgt und sie nicht weiter schrumpfen.

Weitere Empfehlungen.

Will man die Medienvielfalt erhalten, bleibt aus dieser Perspektive als sinnvolles Instrument – neben der Anwendung des Kartellrechts – die Einführung einer Digitalsteuer auf die KI-basierten Dienste der Plattform- und Social-Media-Anbieter, die dadurch überproportional an den Werbemärkten teilhaben.

Weiterhin fordern die Autoren, dass KI-System im Medienbereich zu höherwertigen Medieninhalten beitragen sollten. Allerdings räumen Sie ein, dass diesem Wunsch die aktuellen Tatsachen entgegenstehen, die sich in der Gatekeeper-Funktion der Plattformen ausdrücken. Diese nämlich können mit ihren KI-Systemen, Browsern, Endgeräten und Betriebssystemen eine Vorentscheidung darüber treffen, was als Inhalt auf ihren Plattformen erscheint.

Es bleibt ein Dilemma:

Neue technische Vorgänge haben im Mediensektor große gesellschaftliche Relevanz und stellen für Politik und (Selbst-)Regulierung eine qualitativ neue Herausforderung dar, Werte wie Meinungsfreiheit und Vielfaltsicherung oder Normen und Standards wie Jugend- und Verbraucherschutz, Transparenz und das Diskriminierungsverbot effektiv durchzusetzen. Dabei besteht die Gefahr, sowohl mit einer zu strikten Medienregulierung innovationshemmend zu wirken, als auch die Instrumente der Medienpolitik nicht flexibel genug an die rasanten technologischen Entwicklungen anpassen zu können.

Einordnung

Die Autoren zeigen auf, wie sehr KI-Systeme schon heute das Mediennutzungsverhalten der Menschen beeinflussen und Marktlogik umkrempeln. Sichtbar wird diese Machtverschiebung allein schon dann, wenn man die Liste der größten Medienkonzerne von 2008 mit der von 2018 vergleicht. Ehemals große und mächtige Medienkonzerne wie Bertelsmann, in den 1990er Jahren zeitweise der größte Medienkonzern der Welt, sind nur noch Randakteure. Während Apple, facebook und Google einen Umsatz- und Gewinnsprung nach dem andern verkünden, feiert es man Bertelsmann mittlerweile als Erfolg, nur wenige Prozent Umsatz coronabedingt eingebüßt zu haben.

Obwohl es den Autoren gelingt, den aktuellen Zustand auf den internationalen Medienmärkten zutreffend zu beschreiben, bleiben einige blinde Flecken offensichtlich. Da wäre vor allem der Überwachungskapitalismus mit seiner ganz eigenen Logik. Ohne dass es hierzulande bisher für allzu große Aufmerksamkeit gesorgt hätte, konnten Google, facebook und andere in kürzester Zeit eine neue Art des Kapitalismus begründen, der darauf abzielt, das Verhalten der Marktakteure zu bestimmen, sodass die üblichen Investitionsrisiken und Streuverluste auf nahezu null reduziert werden können. Dabei geht es um weitaus mehr als nur um Medien – davon betroffen sind alle Interaktionen von Menschen, Maschinen und demnächst auch Tieren. Der Medienmarkt ist da nur ein Nebenkriegsschauplatz. Es geht um weitaus mehr (Banking, Mobilität, Gesundheit, Energie, Smart Home, Smart City).

Ebenso blenden die Autoren aus, wie sehr Google, facebook & Co. Innovationen verhindern, indem sie potenzielle Mitbewerber entweder ausschalten oder durch die Zahlung astronomischer Kaufpreise übernehmen. Auch sonst lohnt ein Blick auf die Geschäftspolitik von facebook und Co. wie in Facebook. Weltmacht am Abgrund von  Steven Levy. Weitere Kritik, wenngleich aus einer aus einer anderen Richtung, kommt von George Gilder in Das Leben nach Google.

Statt in die Zukunft wird hierzulande weiterhin konsequent in die Vergangenheit investiert. Aufhalten lässt sich die Entwicklung damit nicht((„Überbrückungshilfe“ für gedruckte Zeitungen? Diese Brücke führt ins Nirgendwo)). KI, ganz gleich in welcher Ausprägung und mit welchen Absichten, wird an dem eigentlichen Problem, die Frage nach er Zukunft des Journalismus und der Medienindustrie, nichts ändern.

Von McLuhan