Bis weit in die 1990er Jahre war unter Spitzenpolitikern die Vorstellung weit verbreitet, gegen die Bild-Zeitung wie überhaupt gegen die Springer-Medien die Macht nicht erringen und danach halten zu können. Gerhard Schröder war der Auffassung, mit der Bild und der “Glotze” Deutschland locker regieren zu können((Nur Bild, BamS und Glotze? Medialisierung der Politik aus Sicht der Akteure)). 

Wie so viele andere Liebesbeziehungen Gerhard Schröders so zerbrach auch diese((Eine verlorene Liebe)). Schröder konnte 2002 trotz heftigen Gegenwinds aus dem Hause Springer die Bundestagswahl für sich entscheiden. Der Nimbus der Unbesiegbarkeit der Bild bekam erste Kratzer.

Der eigentliche Wendepunkt war jedoch die Affäre Guttenberg. Mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln versuchte die Bild-Zeitung unter ihrem damaligen Chefredakteur Kai Diekmann den Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg im Amt zu halten. Guttenberg stand zu dem Zeitpunkt im Verdacht, bei seiner Doktorarbeit im großen Stil abgeschrieben zu haben, was sich bestätigte. Eine Schlüsselrolle übernahm damals die Seite GuttenPlag, auf der die plagiierten Textpassagen aus Guttenbergs Doktorarbeit fortlaufend dokumentiert wurden. Aufgrund des öffentlichen und medialen Drucks musste Guttenberg schließlich sein Amt räumen. Eine herbe Niederlage für die Bild-Zeitung((Boulevard unterliegt Internet. Bild nimmt Guttenberg-Rücktritt an)), die bis heute nachwirkt. Eine, wenn man so will, traumatische Erfahrung.

Marcel Weiss kommentierte die Ereignisse seinerzeit mit den Worten:

Zwei Erkenntnisse erscheinen mir dabei recht offensichtlich:

  1. Ohne Guttenplag wäre Guttenberg nicht gegangen.
  2. Ohne das Feuerwerk der klassischen Medien von FAZ bis Spiegel wäre Guttenberg nicht gegangen.

Das Interessante ist, dass beides notwendig war um die als unbesiegbar erschienene Phalanx aus BILD und (ehemaligen )Medienlieblingspolitiker zu brechen. Weder allein Punkt eins noch allein Punkt zwei hätten dafür gereicht….((#GuttenPlag Das Netz und der Guttenberg-Rücktritt))

GuttenPlag hatte unter Anwendung wissenschaftlicher Methoden und überprüfbarer Fakten eine Informationsgrundlage geschaffen, die nur noch eine Schlussfolgerung zuließ, sofern man an den Grundzügen wissenschaftlicher Praxis festhalten wollte. Der Widerstand der Bild war zwecklos. Seitdem, so der Eindruck, ist der größte Gegner der Bild die evidenzbasierte Wissenschaft, wie zuletzt die Machtprobe mit dem Virologen Christian Drosten zeigte((Die Machtprobe: Worum es beim Kampf von „Bild“ gegen Drosten geht)).

Stefan Niggemeier schrieb dazu:

Wenn sich bewahrheitet, was sich gerade abzeichnet, nämlich dass die Kampagnenmacht von „Bild“ schwindet, dann ist das nicht nur eine Niederlage für „Bild“, sondern ein Gewinn für uns alle.

Gestützt wird diese Vermutung durch den Journalistikprofessor Tanjev Schultz. Sehr zu ihrem eigenen Verdruss werde die Bild-Zeitung nicht mehr so ernst genommen, wie sie es wohl gerne hätte, so Schultz in einem Interview((“Die ‘Bild’-Zeitung wird nicht mehr so ernst genommen”)).  Zwar sollte man  die “Bild”-Zeitung nicht unterschätzen, da sie immer noch enorm reichweitenstark ist und weiterhin als Leitmedium für Entscheider in Politik fungiert – ihre schwindende Kampagnenfähigkeit seit der Guttenberg-Affäre ist indes nicht mehr zu übersehen. Die Gegenmacht des Internets war schon damals zu groß. Mit seiner Aussage “In meinem Alltag kommt die “Bild-Zeitung” nicht vor, zeigte Christian Drosten eine souveräne Reaktion auf die anhaltende Kritik der Bild-Zeitung. An dieser Haltung dürften sich in Zukunft immer mehr Entscheider in der Politik und den Medien orientieren((Springer-Medien gegen Kanzlerin. Lieber feiern als helfen? Die Anklagen gegen Merkel sind schändlich)).

Auch dieser Kaiser erweist sich bei näherer Betrachtung als ziemlich nackt.

Angela Merkel, mit ihrem sicheren Gespür für die wahren Machtzentren im Land, scheint schon vor längerer Zeit zu dieser Einsicht gekommen zu sein. Sie bedarf der Bild nicht. Ignoranz ist das Schlimmste, was man der Bild antun kann.

Die Bild wie überhaupt die Springer-Medien bewegen sich langsam aber sicher an den Rand und radikalisieren sich((Das zeigt nicht nur die heftige Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Rundfunkgebühren)). Für ein Boulevard-Blatt ist das, zumindest momentan und auf absehbare Zeit, die exakt falsche Strategie.

Von McLuhan