Von Ralf Keuper

Wer hätte das gedacht: Da haben die Menschen über Jahrhunderte geglaubt, die Abschaffung überkommener Gesellschaftsstrukturen sei das Mittel, um die Freiheit für alle zu erlangen, da erreicht uns die Botschaft, dass es die Daten sind, die uns zu freien Menschen machen. So jedenfalls argumentiert Frank Schmiechen in seinem Essay Warum uns Daten zu freien Menschen machen.

Als Ausgangspunkt wählt Schmiechen:

Mit der Digitalisierung betreten wir das zweite Zeitalter der Aufklärung. Nach dem Wissen über die Dinge folgt jetzt die Erlangung der Macht über die Dinge. Durch Daten und Vernetzung. Die Ängste sind die selben geblieben. Nach dem Glauben wird jetzt über unsere Freiheit verhandelt. Die Frage lautet: Wenn Daten alles erklären, wenn Algorithmen alles regeln, wenn wir bis in die letzte Körperzelle durchleuchtet, vermessen und optimiert werden – wo bleibt dann der Ort für unsere Freiheit?

Im weiteren Verlauf erläutert Schmiechen seine fünf Argumente, die seine recht steile These belegen sollen:

  1. Daten machen uns frei
  2. Daten sind unser mächtigstes Werkzeug
  3. Algorithmen sind gut
  4. Daten verbessern unser Leben
  5. Daten schaffen Erkenntnis

Tatsächlich?

Mit der Vernetzung der Daten ist für Schmiechen das goldene Zeitalter angebrochen. Ohne Daten sind wir der feindlichen Umgebung ausgeliefert. Da fragt man sich: Wie haben es die Menschen über die Jahrtausende fertig gebracht, ohne die heutigen technischen Möglichkeiten zu überleben? Sicher: Daten, Informationen, übermittelt durch Gesten, Signale und durch das Riechen vor allem, haben für das Überleben der menschlichen Spezies von Beginn an eine große Rolle gespielt – jetzt aber daraus zu folgern, dass es die Daten gewesen sein, die die Menschen frei gemacht haben, scheint doch etwas übereilt, man denke nur an die verschiedenen Gelegenheiten, wo das genaue Gegenteil eingetreten ist: Die Gestapo und die Stasi …

Daten als Universalschlüssel und mächtiges Werkzeug, um Gefahren zu vermeiden. Klingt gut. Daten für sich genommen bringen recht wenig, um ein Gefühl der Sicherheit zu erzeugen. Erst die Einordnung in einen weiteren Zusammenhang, macht aus den Daten Informationen und im weiteren Verlauf durch Interaktion mit anderen ebenso wie durch Handlungen Wissen. Alleine sind Daten recht witzlos – vor allem als Werkzeug.

Algorithmen sind gut. Ob Algorithmen gut oder böse sind, hängt vor allem davon ab, wer sie wozu programmiert, oder aber zu welchem Zweck in die Umwelt gesetzt hat. Auch Algorithmen fielen nicht vom Himmel. Die Gefahr, dass wir Algorithmen zu sehr vertrauen, obwohl sie doch so gut sind, sieht jedenfalls Luke Dormehl, der dafür einige Beispiele bringt, wie u.a. in seinem Buch The Formula: How Algorithms Solve All Our Problems – and Create More. Dazu: If Algorithms Know All, How Much Should Humans Help?

Daten verbessern unser Leben: Kann man das so pauschal sagen? Dazu gilt eigentlich dasselbe wie zu dem vorangegangenen Punkt.

Daten schaffen Klarheit: Auch hier gilt: Zuviel des Guten, schafft mehr Unübersichtlichkeit statt Klarheit. Entscheidend ist nicht die Menge, die Quantität, sondern die Trennschärfe, die Aussagekraft der Daten. Viel hilft auch hier nicht unbedingt viel. Eher schon sollten wir im Sinne von Tor Norretranders nach mehr Exformation streben.

Was Schmiechen völlig außer Acht lässt: Daten sind von sich aus nicht selbsterklärend. Sie bedürfen der Vermittlung, Verarbeitung, Interpretation und Kritik. Anderenfalls erleben wir einen Rückfall in vormoderne Zeiten, in denen nur einige Auserwählte in der Lage waren, zu lesen und zu schreiben und die Zeichen – häufig in ihrem Sinne – zu deuten.

Eine Überbewertung der Daten führt zu einem Datenpositivismus, d.h. in eine Gesellschaft, in der Daten mit der Realität gleichgesetzt werden.

Alles in allem ein Rückschritt.

Da erscheint mir der Ansatz, Daten als Teil der Kultur zu betrachten, deutlich verlockender.

Auch sollten wir unsere persönlichen Daten, die Daten, wie wir selbst erzeugen, und aus denen sich relevante, wertvolle Infomationen gewinnen lassen, als Besitz, als Eigentum interpretieren, über das wir die Souveränität haben sollten. Ein weiterer wichtiger Punkt – womöglich der wichtigste von allen.

Denn: Ohne Schutz der Daten keine Freiheit.

2 Gedanken zu „Machen Daten uns frei?“
  1. Ihr Fazit stimmt wohl – leider. Als Utopie sind mir Schmiechens Thesen aber "lieber". Aktuell bedeutet Datenverfügbarkeit Macht.
    Lassen wir aber mal institutionelle Macht außen vor. Wäre dann ein vollkommene Verfügbarkeit meiner Daten nicht nur dann schädlich, wenn meine Umgebung intolerant wäre?
    Aber gut, ich gebe zu, ein etwas utopischer Ansatz.
    Herzlichst Ihr Wolfgang Gierls

  2. Wenn Daten so neutral wären und alle nur die besten Absichten hätten, dann vielleicht 😉 Sollten Daten das "neue Öl" des Informationskapitalismus sein, dann haben wir – für den Nutzer – eine neue ökonomische Situation. Außerdem möchte man im Netz hin und wieder anonym unterwegs sein – wie im echten Leben auch (noch). Darin hat wohl der Spruch "Bargeld ist verbriefte Freiheit" seinen Ursprung.
    Es mag noch weit hergeholt klingen, aber: Datenschutz, Datensouveränität ist ein Grundrecht. Je mehr wir und in Richtung Digitalisierung bewegen, um so dringender wird das m.E.

    Herzlichst Ihr Ralf Keuper

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