Das verkrampfte Bemühen von Radiomoderatoren, eine vertraute Atmosphäre herzustellen, wird zunehmend als übergriffig empfunden. Was als Nähe gedacht ist, entpuppt sich oft als unechte Inszenierung – ungebetene Gäste, die ungefragt in den privaten Raum eindringen und Vertrautheit behaupten, wo strukturell keine sein kann.


Es ist ein alltägliches Phänomen, das vielen Radiohörern unangenehm vertraut sein dürfte: Die Stimme im Autoradio wird weich, beinahe flüsternd. Der Moderator spricht plötzlich so, als säße er neben einem auf dem Beifahrersitz, als teilte man mit ihm nicht nur den Äther, sondern auch einen intimen Moment. „Ihr Lieben“, sagt er vielleicht, oder: „Ich weiß genau, wie ihr euch jetzt fühlt.“ Diese inszenierte Vertrautheit, dieses Bemühen um eine Nähe, die niemand erbeten hat, hinterlässt häufig einen schalen Nachgeschmack. Statt Verbundenheit entsteht Befremden. Statt Authentizität macht sich das Gefühl breit, Zeuge einer schlecht einstudierten Performance zu werden.

Der Einbruch ins Private

Die Beobachtung, dass Radiomoderatoren zunehmend versuchen, eine intime Atmosphäre mit der Hörerschaft herzustellen, lässt sich durch verschiedene kritische Betrachtungen bestätigen. Was dabei auffällt, ist weniger die Absicht als vielmehr die Wirkung: Die Moderatoren werden als ungebetene Gäste empfunden, die ungefragt in das Private eindringen. Das Auto, die Küche am Morgen, das Badezimmer – Orte der Privatheit werden von Stimmen bevölkert, die eine Vertraulichkeit beanspruchen, die ihnen nicht zusteht.

Diese süßliche, manipulative Strategie versucht, Vertrautheit zu schaffen, wo strukturell keine sein kann. Radio ist eine unidirektionale Angelegenheit: Der Moderator spricht, die Hörer empfangen. Es gibt keine wirkliche Begegnung, keinen Austausch, keine Reziprozität. Und dennoch wird so getan, als existiere eine persönliche Beziehung, als kenne man einander, als verbinde einen etwas. Der Hörer hat die Tür nicht geöffnet, keine Einladung ausgesprochen – und dennoch ist diese Stimme da, die sich aufführt, als hätte sie jedes Recht, in die Intimsphäre einzudringen.

Die Simulation von Zugehörigkeit

Was die Situation besonders unangenehm macht, ist die Asymmetrie dieser Beziehung. Der Moderator tut so, als würde er einen kennen, als verstehe er einen, als teile man etwas – während man selbst nur passiver Empfänger einer Sendung ist. Es ist das Unbehagen dieser einseitigen Vertrautheit, die viele als übergriffig empfinden: Jemand nimmt sich die Freiheit, in den privaten Raum einzutreten, ohne dass man ihn darum gebeten hätte, ohne dass man ihm diese Nähe gewährt hätte.

Die Moderation täuscht eine Beziehungsqualität vor, die das Medium strukturell nicht herstellen kann. Es ist, als würde jemand ungefragt am Frühstückstisch Platz nehmen und vertraulich über persönliche Dinge sprechen, während man selbst nicht einmal die Möglichkeit hat, zu widersprechen oder den Raum zu verlassen, ohne das Radio auszuschalten. Die Geste der Nähe wird vollzogen, aber sie bleibt unerwünscht, aufdringlich – ein Eindringen, keine Einladung.

Die Krise der Authentizität

Was die Situation verschärft, ist die offenkundige Unechtheit vieler dieser Versuche. Radioproduktionen neigen teilweise zu inszenierten, vorgetäuschten Situationen und Gesprächen, die den Höreindruck von Echtheit systematisch untergraben. Live-Fakes, künstlich erzeugte Emotionen, vorbereitete „spontane“ Momente – all das führt dazu, dass Hörer Radiomoderatoren nicht mehr als authentisch erleben können. Der ungebetene Gast entpuppt sich als Schauspieler, der eine Rolle spielt, ohne dass dahinter eine echte Person sichtbar würde.

Hinzu kommt eine Kritik, die sich auf die intellektuelle und bildungsspezifische Kompetenz vieler Moderatoren bezieht. Es gibt den Eindruck, dass Moderatoren oft nicht den Anspruch verkörpern, über eine hohe intellektuelle Tiefe zu verfügen. Studien zeigen, dass für Hörer Glaubwürdigkeit und Kompetenz von Moderatoren wesentlich sind und stark vom Sprachvermögen und sicheren Auftreten abhängen. Wenn diese Eigenschaften fehlen, wirkt die Moderation eher pseudo und weniger seriös. Der ungebetene Gast ist nicht nur aufdringlich – er ist auch noch banal, ohne jene Qualitäten, die seine Präsenz rechtfertigen könnten. Die emotionale Ansprache kann dann nicht mehr kaschieren, was an inhaltlicher Substanz fehlt – im Gegenteil, sie macht die Leerstelle nur umso deutlicher.

Die Grenzüberschreitung als Strategie

Richard Sennetts Konzept der „Tyrannei der Intimität“ lässt sich hier in modifizierter Form anwenden. Sennett beschreibt damit eine soziale Erwartung, bei der persönliche Nähe und emotionale Offenheit zum gesellschaftlichen Zwang werden. Im Fall der Radiomoderation geht es nicht um einen Zwang zur wechselseitigen Intimität, sondern um die einseitige Behauptung von Vertrautheit als Strategie der Publikumsbindung – eine Behauptung, die sich über die natürlichen Grenzen zwischen öffentlich und privat hinwegsetzt.

Diese Strategie ist deshalb problematisch, weil sie auf einer fundamentalen Grenzüberschreitung basiert. Die Moderation nimmt sich das Recht heraus, in die Intimsphäre einzudringen, ohne dass der Hörer dem zugestimmt hätte. Es ist eine Form der symbolischen Gewalt, sanft und freundlich im Ton, aber letztlich respektlos gegenüber der Autonomie des Hörers, selbst zu bestimmen, wen er in seinen privaten Raum lässt und wen nicht.

Die emotionale Vereinnahmung ohne Gegenwehr

Das verkrampfte Bemühen um Intimität offenbart letztlich eine tiefere Problematik: Wenn moralische oder emotionale Frames überbetont werden, um Zuhörer stärker emotional zu binden, ohne dass dies authentisch wirkt, entsteht eine Form der sanften Manipulation. Die Hörerschaft wird nicht als mündiges Publikum behandelt, das sich seine eigene Meinung bilden kann, sondern als emotionale Projektionsfläche, die durch vorgetäuschte Gefühle gesteuert werden soll.

Diese Vereinnahmung ist besonders perfide, weil sie keine Gegenwehr provoziert und keine zulässt. Der Hörer kann nicht antworten, nicht widersprechen, nicht den ungebetenen Gast hinauskomplimentieren. Er kann nur abschalten – oder das Unbehagen ertragen, das entsteht, wenn jemand so tut, als kenne er einen, während man selbst nur eine anonyme Ziffer in der Einschaltquote ist. Der private Raum wird besetzt von einer Stimme, die sich benimmt, als hätte sie dort jedes Recht zu sein.

Das Scheitern der vorgetäuschten Nähe

Die Ironie liegt darin, dass die vorgetäuschte Intimität letztlich genau das Gegenteil von dem bewirkt, was sie erreichen soll. Statt Nähe und Vertrauen zu schaffen, verschlechtert sie die soziale Qualität der Beziehung zwischen Moderator und Publikum. Die behauptete Vertrautheit wird als Eindringen empfunden und belastet das Verhältnis, statt es zu bereichern. Der Versuch, Zugehörigkeit zu simulieren, erzeugt Abwehr.

Insgesamt ist das Bemühen um eine intime Hörerverbindung in Radiosendungen oft zugleich Quelle für Kritik an Übergriffigkeit, mangelnder intellektueller Tiefe und fehlender Authentizität. Das führt zu der Wahrnehmung, dass Moderatoren sich als ungebetene Gäste in den privaten Raum drängen, eine Nähe beanspruchen, die nicht echt ist und aufgrund der medialen Konstellation auch nicht echt sein kann. Sie verstört oder stößt ab, weil sie eine Vertrautheit behauptet, die niemand gewährt hat.

Was bleibt, ist ein Medium, das seine eigene Glaubwürdigkeit untergräbt, indem es eine Vertrautheit simuliert, die strukturell unmöglich ist – und die vor allem: unerwünscht ist. Die süßliche Anbiederung täuscht nicht über die Tatsache hinweg, dass hinter der warmen Stimme keine Person steht, die einen kennt, sondern ein professioneller Kommunikator, der eine Rolle spielt. Und diese Rolle wird umso unangenehmer, je mehr sie vorgibt, keine zu sein, je mehr sie sich als Gast ausgibt, der nie eingeladen wurde und dessen Besuch man nicht gewollt hat.

Von McLuhan