Die Erfindung der Fotografie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war eines der einschneidendsten Ereignisse in der Geschichte der europäischen Malerei. Das neue Medium hat dort die mächtigsten Wirkungen gezeitigt, wo es erfunden und schon früh künstlerisch überhöht worden ist, also in Frankreich, im Land der hochentwickelten Peinture, und in Paris, dem Inspirationsort so vieler großer Maler.

Die ersten Fotografien, die noch mehrere Sekunden lang belichtet werden mussten und darum jede erfasste Bewegung auslöschten, dafür aber ruhende Gegenstände unscharf abbildeten, dürften von den realistisch gesinnten Malern nicht als Einladung zur überexakten Nachahmung, sondern eher als Ermutigung zum malerisch freieren Umgang mit der Realität erlebt worden sein. Wenn es plötzlich ein Medium gab, das die Welt exakt in ihrer Verhältnismäßigkeit abbildete, warum sollte man sich als Maler noch um realistische Details kümmern?

Quelle: Mächtige Wirkung. Die Fotografie verändert die Malerei im 19. Jahrhundert, von Gottfried Knapp in der SZ vom 11.03.2015 

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