Von Ralf Keuper


Spätestens seit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat sich der Begriff der Informationsgesellschaft einen festen Platz in der öffentlichen Diskussion um die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft erobert. Allerdings fehlte den verschiedenen Initiativen, seien es nun staatliche oder privatwirtschaftliche, das einigende Band, die Klammer. Erst Mitte der 90er Jahre gewinnt der Prozess durch das Aufkommen des Internet an Dynamik und vereint die bis dahin eher nebeneinander agierenden Institutionen und Akteure. Was im Rückblick wie ein geplantes Vorgehen aussieht, erweist sich bei genauerem Hinsehen als die Verquickung vieler Zufälle, eine lange Kette von Versuchen und Irrtümern, insbesondere in Europa. Trotzdem hat gerade Europa in den letzen zehn Jahren auf dem Gebiet der Informations- und Telekommunikationstechnik zu den USA und Japan aufgeschlossen. Zwar verlief die Entwicklung in England, Deutschland und Frankreich nicht so stürmisch wie in den USA, jedoch haben die verschiedenen Programme, die sich der flächendeckenden Einführung der Infrastrukturen für die Verbreitung von Informations- und Telekommunikationsdienstleistungen in Europa verschrieben hatten, letztendlich Erfolg. 
Ob sich diese Erfolgsgeschichte auch beim Übergang in die Digitalmoderne fortsetzt, steht in den Sternen. Derzeit überwiegen die Zweifel. 

Dabei zeigt sich, das von “dem” Entwicklungspfad in die Informationsgesellschaft, der für alle Länder gleichermaßen gültig ist, nicht gesprochen werden kann. Weder ist es den Marktkräften noch staatlichen Initiativen allein zu verdanken, wenn sich eine Gesellschaft auf den Weg auf den “information highway” begibt. 

An diesem Punkt setzt nun Jochen Steinbicker mit seinem Buch Pfade in die Informationsgesellschaft an, wobei er die Entwicklung in den USA, in Großbritannien, Frankreich und Deutschland miteinander vergleicht.
Gleich in der Einleitung skizziert Steinbicker seine These, deren Aufhänger der Durchbruch des Internet ist, der für viele damalige Beobachter alles andere als selbstverständlich war, man denke nur an die legendäre Aussage von Bill Gates, derzufolge das Internet lediglich ein Hype sei – eine Ansicht, die er schon kurze Zeit später korrigierte. Die lange Vorbereitungsphase, die in den untersuchten Ländern bereits in den 60er Jahren begann, führte dazu, dass ab Mitte der 90er Jahre die Früchte eingesammelt werden konnten. War die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert über die Menschen mehr oder weniger hereingebrochen, so wurde die Geburt der Informationsgesellschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von einem intensiven, gewiss auch langwierigen, politischen und öffentlichen Diskurs geprägt. Freilich kann auch hier nicht von Transparenz im idealen Sinne gesprochen werden, jedoch sind seitdem die Mitwirkungsmöglichkeiten für die interessierten und betroffenen Personenkreise so groß wie nie zuvor.

Für die USA war der entscheidende Auslöser für das Aufkommen der Informationsgesellschaft die Aufspaltung des Telekommunikationskonzerns AT&T in mehre kleinere Gesellschaften. In den 90er Jahren war es vor allem der damalige Vizepräsident Al Gore, der sich die Informationsgesellschaft auf die Fahnen schrieb und mit dazu beigetragen hat, dass die USA auf dem Gebiet der Informations- und Kommunikationstechnologie ihre führende Position bis heute behaupten können.  

In Großbritannien hatte sich die Politik mit der Machtübernahme durch Margret Thatcher der Marktliberalisierung verschrieben. Dabei wurde die Bedeutung der Informations- und Kommunikationstechnologie für die Zukunft des Landes vollauf anerkannt. Spektakulärere Akte waren die Privatisierung von BT und die Aufhebung des Netzmonopols. Trotzdem ist das Ergebnis rückblickend nicht so marktliberal, wie es nach dem Lehrbuch und nach den Vorstellungen der Regierung hätte sein sollen.

Wie nicht anders zu erwarten, fiel in Frankreich dem Staat die Führungsrolle bei der Etablierung der Informationsgesellschaft zu, wenn sie auch nicht immer direkt zum Vorschein kam. Die Privatwirtschaft war eher für das “operative Geschäft” zuständig und als Impulsgeber von Bedeutung.   

Mit dem Telekommunikationsgesetz (TKG) von 1996 gewann die Entwicklung in Deutschland an Dynamik. 

Mit der Machübernahme durch die Regierung Schröder wurde der eingeschlagene Weg fortgesetzt. Auf Anregung der Industrie wurde die Initiative D21 ins Leben gerufen, deren erklärtes Ziel es war, eine übergreifende Strategie für den Aufbau bzw. Ausbau der Informationsgesellschaft in Deutschland zu entwickeln, um dem drohenden Rückstand Deutschlands entgegenzuwirken. Die Bundesregierung nahm einige der Gedanken der Initiative D21 auf und stellte ihre Strategie unter dem Titel “Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts” vor.
Die Bundesregierung prägte dafür den Slogan des “Internet für Alle”. Im Zentrum standen vorwiegend ökonomische Gründe. 

In der Motivation für die Informationsgesellschaft stellt Steinbicker dann auch einige Unterschiede zwischen den Ländern fest.

Überhaupt war die Ausgangslage in den Ländern in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts unterschiedlich. In Frankreich ging es in erster Linie darum, die Industriestruktur durch die Forcierung der Hochtechnologie zu modernisieren, in Großbritannien war das Ziel, durch einen Neuaufbruch den schleichenden Niedergang der Industrie aufzuhalten, wogegen in Deutschland die Entwicklung unter dem Einfluss des Wiederaufbaus und den Bestrebungen stand, an die technologische Entwicklung der USA und später Japans anzuschließen. 

Entscheidend für den Durchbruch der Informationsgesellschaft in Europa ist für Steinbicker die EU-Kommission, deren erklärtes Ziel es war, eine Fragmentierung der Märkte in Europa zu verhindern. Bereits 1982 stelle die Kommission dem Rat das Forschungsprogramm ESPRIT (European Strategic Programme for Research and Development) vor, über das in den folgenden Jahren etliche Projekte finanziert wurden. Weitere wichtige Etappe auf dem Weg war die Veröffentlichung des Bangemann-Berichts im Jahr 1994.   Damit gelang es der EU-Kommission die Führungsrolle zu übernehmen.

Wenngleich fast alle Länder dem Motto des “information highway”, wie er von Al Gore etabliert wurde, folgten und den Marktkräften ausgewählte Felder überließen und damit zumindest indirekt dem Internet zum Durchbruch verhalfen, ist die Haltung der Regierungen zum Internet inzwischen ambivalent. 

So spricht Steinbicker dann auch von dem >accidental information superhighway<. Vielen Regierungen geht die Entwicklung inzwischen zu weit, die Freiheit im Internet soll Grenzen haben, die Kontrolle zumindest in bestimmten Bereichen zurückgewonnen werden. Darin erblickt Steinbicker dann auch die Konflikte der Zukunft.
Manchmal etwas zu detailverliebt und zu sehr im Soziologendeutsch verfasst, liefert das Buch dennoch eine Fülle von Informationen und Querverweisen, die zu einem besseren Verständnis der Informationsgesellschaft beitragen.
Crosspost von Econlittera

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