Von Ralf Keuper

Da wird in Deutschland noch – vorwiegend in den alten Kategorien und mit überholten Begriffen – lebhaft über die Zukunft des Journalismus in der Digitalmoderne diskutiert, da erscheint in den USA ein Beitrag, der weit über die Befindlichkeiten und Selbstbespiegelungen der Branche hinaus weist.

Gemeint ist der Artikel Let’s Start Talking About a Radically Different Future of News von Paul Sparrow.

Darin legt der Autor die Herausforderungen dar, mit denen die klassischen Medienunternehmen in naher Zukunft konfrontiert werden; schon jetzt sind sie spür- und sichtbar.

Ausgangspunkt bzw. Aufhänger seine Argumentation ist das Semantic Web, dessen Vorkämpfer keine geringerer ist als der Vater des, wenn man so will, klassischen Internet, Tim Berners-Lee. Durch das semantische Internet sei es möglich, den Lesern, personalisierte, auf ihre persönlichen Bedürfnisse zugeschnittene Informationen und Nachrichten zu liefern. Der Verschnitt alter Tage, wie er kennzeichnend für die Massenmedien ist, gehört schon bald der Vergangenheit an.

Die Frage, so Sparrow, sei nun, ob diese Lieferanten Technologie- oder Medienunternehmen sein werden; also Google, Amazon, Apple oder New York Times, CNN oder Bertelsmann?

Während beispielsweise WeChat und facebook bereits in der Lage sind, den Nutzern standortgebundene (location based) Informationen und natürlich auch Werbung zu liefern, seien die klassischen Medienunternehmen dazu weder technologisch noch kulturell imstande.

Die Medienhäuser und Verlage sollten sich daher in erster Linie als Lieferanten von Inhalten (Content) verstehen. Mehr noch: Unter Verweis auf Jeff Jarvis wird sich das Berufsbild der Journalisten dahin wandeln, dass sie Dienstleister (Service Providers) werden (müssen).

Das Zeitalter der Micromedien, die u.a. über social sharing auf den Leserbedarf abgestimmte Informationen in Echtzeit bereitstellen, steht vor den Toren. Für Massenware bestehe kaum noch Bedarf. Gefragt sei “responsive content”, kurze Textauszüge als Appetithäppchen. Daneben werden Audio- und Video-Dienste den Informationsbedarf abdecken. Wer längere Texte lesen möchte, kann dazu noch immer auf gedrucktes Papier (Totholz) zurückgreifen.

Im Zentrum stehe fortan auch in den Medienbranche die “user experience”. Die Personalpolitik sei entsprechend anzupassen. Softwareentwickler und Webdesigner werden die Redaktionsräume bevölkern.

Das Szenario ist nicht weit hergeholt – so viel steht für mich jedenfalls fest.

Allerdings ist die Unterscheidung zwischen Technologieunternehmen und Medienunternehmen, wie sie Sparrow zieht, m.E. künstlich. Google, Amazon, Apple, Baidu, facebook, Tencent & Co. sind, zumindest in weiten Teilen, bereits Medienkonzerne. Das ist das Problem.

Eines der wenigen Medienunternehmen, dem der digitale Wandel zu gelingen scheint, jedenfalls nach Ansicht von Ken Doctor, ist die New York Times. Der Beweis steht noch aus.

Das Geschäft mit der Werbung, seit je eine der Haupteinnahmequellen der Medienhäuser und Verlage, liegt ohnehin schon in anderen Händen. Um digital ads gezielt lancieren zu können, bedarf es ausgefeilter Algorithmen und nicht zuletzt: der nötigen Reichweite. Da haben facebook und Tencent einen deutlichen Startvorteil, der gerade in der Aufmerksamkeitsökonomie entscheidend ist, da sie den Preis für die Werbung, für den Service, bestimmt. Schon jetzt ist das Wachstum von Mobile Advertising deutlich höher als das aller anderen digitalen Kanäle.

Nur leider haben die Digitalen Medien ein Problem: Sie sind (noch) zu billig.

Die Aussage/Prognose, facebook kontrolliere irgendwann alles was wir online sehen und lesen, mag überzogen sein. Gleichwohl macht sie die Gefahren deutlich, denen die Verlage künftig ausgesetzt sind. An den digitalen Gatekeepern werden die Verlage nur sehr schwer vorbei kommen. Sie müssten dazu ein Gegengewicht bilden.

Was diese Entwicklung für den Journalismus alter Prägung bedeutet, lässt sich noch nicht abschließend sagen. Leichter wird es wohl nicht.

Eine moderne Gesellschaft braucht jedoch mehr als Content-Lieferanten und Informationsdienstleister in Echtzeit.

Das Nachdenken über größere Zusammenhänge wird ein wichtiges Betätigungsfeld für Journalisten und Blogger. Der Bedarf bleibt.

Neben Micromedien benötigt die Gesellschaft vielleicht keine Massenmedien mehr, wohl aber Macromedien.

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