Von Ralf Keuper 

Der Gedanke besitzt einigen Charme bzw. Reiz: Jorge Louis Borges, der in seinen Büchern, Gedichten und Essays eine eigene Symbolwelt geschaffen hat, als der geistige Vater des Hyperlink und damit ein Wegbereiter des Internet.

Mit dieser These überraschte die Literaturwissenschaftlerin Perla Sassón-Henry in ihrem Buch Borges 2.0: From Text to Virtual Worlds vor einigen Jahren die Fachwelt.

Paul Ingendaay überprüfte diese Behauptung in seinem lesenswerten Artikel Der blinde Prophet des Cyberspace. Darin kommt er zu einem abweichenden, gleichwohl nicht per se ablehnenden Urteil. In der Tat lassen sich zahlreiche Indizien für die These finden, wie in der Erzählung Die Bibliothek von Babel. Dennoch besteht für Ingendaay ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Werk und dem Autor Borges auf der einen und dem Internet auf der anderen Seite:

Er (Borges) scherte sich nicht, während sich das Internet gefräßig um alles und jedes schert, auch das Blödeste und Niedrigste. Dafür brauchen wir es, gewiss, und offenbar wollen wir es sogar und sind also selbst schuld; aber zugleich entfernen wir uns von der Möglichkeit zur Versenkung, die vor der Ankunft dieses konzentrationstötenden Mediums einmal existierte. „In bequemer Lage“, schreibt Heinz Schlaffer, „träumen wir von den Anstrengungen und Gewinnen unentwegter Lektüre und verlieren dann wieder in den Zerstreuungen des Lebens jenen Traum, von dem lediglich die Bewunderung für den unvergleichlichen Leser, den Autor Borges, in unserem Gedächtnis zurückbleibt.

Dazu passt, was Borges einmal in seinem Vortrag Das Erzählen sagte:

Ich glaube, dass der Roman verfällt. Ich glaube, dass alle diese kühnen und interessanten Experimente mit dem Roman – zum Beispiel die Idee von sich verschiebenden Zeitebenen, die Idee, die Geschichte von verschiedenen Personen erzählen zu lassen -, dass all dies zu dem Moment führt, an dem wir spüren, dass der Roman nichts mehr mit uns zu tun hat.

An einer Geschichte, einer Story dagegen ist etwas, das sich immer fortsetzen wird. Ich glaube nicht, dass die Menschen je müde werden, Geschichten zu erzählen oder zu hören. Und wenn uns neben dem Vergnügen, eine Geschichte erzählt zu bekommen, das zusätzliche Vergnügen von Würde von Versen zuteil wird, dann wird sich etwas Großartiges ereignet haben. (in: Das Handwerk des Dichters)

Von Borges, der in erster Linie mit der spanisch- und englischsprachigen Literatur im Zusammenhang gebracht wird, stammt auch die Ode an die deutsche Sprache.

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