Von Ralf Keuper
Angesichts des Mordanschlags auf die Karikaturisten von Charlie Hebdo sieht der Kunsthistoriker Horst Bredekamp die akute Gefahr, dass die aufgeklärte Distanz zum Bild verschwinde, wie er in einem Interview in der SZ vom 12.01.15 („Doppelmord an Mensch und Werk“), das Kia Vahland mit ihm führte, äußert.
Auf die Frage „Was können wir tun?“ antwortet Bredekamp:
In meiner „Theorie des Bildaktes“ habe ich dargelegt: Um unseren Freiraum zu wahren, müssen wir bestehen auf der Distanz von Bild und Körper, Bild und Gott. Wie der Mord an den Zeichnern von Paris gezeigt hat, ist das nun das wichtigste Gebot der Aufklärung: eine Frage auf Leben und Tod. Dieser Zusammenhang ist über lange Zeit verdrängt, verdreht und verharmlost worden. Wir müssen uns Fragen der Bildkultur stellen.
Frage: Wie steht es um die westliche Bilderwelt heute – sind wir wirklich so viel aufgeklärter als andere Kulturen?
Antwort Bredekamp:
Leider nein! Die Bewegung der Selfies, der fotografierten Selbstporträts, etwa, mag man befürworten, sie beinhaltet aber auch, dass der Mensch sich ganz mit seinem Abbild identifiziert und damit ein Stück Distanz zum Bild aufgibt. …
Über beide Punkte kann man streiten. Religionen hatten noch nie eine "aufgeklärte Distanz zum Bild", auch nicht die Lutherianer, die ja mit der Ablehunung der bidlichen Darstellungen auch viel aussagen.
Bei den Selfies geht es aber überhaupt ncht um Identifikation, sondern um fabrizierte Repräsentation, manchmal auch nur um den "Bildbeweis". Sie folgen eben nicht der klassischen Porträtkunst ("Das *ist* Goethe"), sondern praktizieren eine absichtsvolle kommunikative Gestaltung, werden so angefertigt und mit diversen Filtern manipuliert. Da ist sehr viel intelektuelle Distanz zum Bild, psychisch mag das etwas anders aussehen.
Eventuell richtig ist, dass die Bilder sich – wie immer schon – der Aufklärung letztlich entziehen, wie auch immer mman meint, ihre Wirkung und machart durchschaut zu haben. Bilder haben immer einen Bezug zu den "Denkweisen" die uns dann auch im Traum begegnen – sind per se anti-rational. Üblicherweise wird der Verstand davor durch Bildunterschriften geschützt, also durch Bewältigen durch Text. Jeder kennt aber die Bilder, die den Panzer aus Sinngebung durchschlagen.
Habe auch Zweifel, ob Bilder tatsächlich über eine eigene Existenz verfügen. Sie hätten eine Bedeutung, die weder gut für sie, noch für ihre Erschaffer ist. Auf der anderen Seite steht die kaum zu leugnende "Macht der Bilder". Wie passt das zusammen? Wie verhält es sich mit dem Film und der Fotografie?
Eng verwandt mit dem Traum sind die Mythen und Märchen. Auch die "Metapher", die bildhafte Sprache würde ich hinzu zählen. Wie weit kann man den Bildbegriff dehnen, ohne ihn zu überfrachten? Wo beginnt der aufklärerische Wert der Bilder? Sollten sie ihrem Wesen nach anti-rational sein, wäre das ja ein Widerspruch. Wie geht man damit als Individuum und Gesellschaft um?
Die Selfies halte ich ebenfalls nicht für "Bilder" im Sinne Bredekamps. So viel Bedeutung haben sie nicht, und wollen sie auch nicht.