Von Ralf Keuper

Im Jahr 1992 erschien das Buch Das Technopol, welches der Autor Neil Postman als eine Aufforderung verstanden wissen wollte, sich gegen die Entmündigung der Gesellschaft durch die Maschinen zu stemmen. Eine lesenswerte Rezension findet sich auf Zeitgeistlos. Mit Blick auf die aktuelle Diskussion um den Einsatz der Künstlichen Intelligenz und der marktbeherrschenden Stellung der großen Internetkonzerne ist das Thema des Buches von ungebrochener Aktualität.

In dem Kapitel Von der Technokratie zum Technopol liefert Postman eine Definition dieses für die damalige Zeit neuen Begriffs:

Das Technopol beseitigt die Alternativen, die es zu ihm gibt, auf ebenjene Weise, die Aldous Huxley in Schöne neue Welt beschrieben hat. Es drängt sie nicht in die Illegalität, auch nicht in die Immoralität. Es macht sie nicht einmal unpopulär. Es macht sie einfach unsichtbar und damit irrelevant. Und dies gelingt ihm, indem es das, was wir unter Religion, Kunst, Familie, Geschichte, Wahrheit, Privatsphäre, Intelligenz verstehen, neu definiert, dergestalt, dass die Definitionen schließlich den Anforderungen des Technopols genügen. Mit anderen Worten, das Technopol ist die totalitär gewordene Technokratie.

Während ich dies schreibe, ist die amerikanische Kultur die einzige, die zu einem Technopol geworden ist. Sie ist noch ein junges Technopol, und wir dürfen annehmen, dass sie nicht nur das erste Technopol gewesen sein, sondern auch das am höchsten entwickelte Technopol bleiben will. Deshalb werfen die Vereinigten Staaten jetzt besorgte Blicke nach Japan und nach mehreren europäischen Ländern, die sich ebenfalls anschicken, Technopole zu werden.

Bis heute konnte das amerikanische Technopol seine Vormachtstellung behaupten, in vielen Bereich sogar noch ausbauen. Der größte Rivale ist heute China mit Internetkonzernen wie Alibaba und Tencent sowie Herstellern von Mobiltelefonen wie Huawei und Xiaomi. In Japan ist SoftBank ein ernstzunehmender Marktakteur, um den herum ein Technopol entstehen könnte.

Das Immunsystem des Technopols, sei, so Postman, jedoch anfällig für Krankheiten und Pathologien:

Das Technopol leidet an einer Form von Kultur-AIDS, wobei die Abkürzung hier Anti-Information Deficiency Syndrome bedeutet, also Anti-Information-Defekt-Syndrom. Dieses Syndrom ist die Ursache dafür, dass man fast alles sagen kann, ohne Widerspruch zu erregen, sofern man nur mit den Worten beginnt: “Eine Untersuchung hat gezeigt …” oder “Wissenschaftler sagen uns heute”. Es ist auch, und dies ist noch wichtiger, die Ursache dafür, dass es unter dem Technopol keine transzendenten Orientierungen oder Sinnbestimmungen, keine kulturelle Kohärenz gibt. Information ist gefährlich, wenn es keinen Platz für sie gibt, wenn keine Theorie da ist, auf die sich stützt, kein Muster, in das sie sich fügt, kurz, wenn es keinen übergeordneten Zweck gibt, dem sie dient. Alfred North Whitehead bezeichnete diese Art von Information als “inert” oder “reaktionsträge”, aber dieser metaphorische Ausdruck lässt die Information allzu passiv erscheinen.

Das Technopol profitiert von dem Zusammenbruch der Abwehrmechanismen der Gesellschaft beim Umfang mit der Informationsexplosion:

Man kann das Technopol auch so definieren: Es ist das, was einer Gesellschaft zustösst, wenn die Abwehrmechanismen gegen den Informationsschwemme zusammengebrochen sind. Es ist das, was eintritt, wenn die Institutionen einer Gesellschaft nicht mehr imstande sind, mit dem Überfluss an Information fertig zu werden. Es ist das, was Eintritt, wenn eine von technologisch erzeugter Information überwältigte Gesellschaft die Technologie selbst einzusetzen versucht, um sich zu orientieren, um klare Ziel- und Zweckbestimmungen zu gewinnen.

Angesichts der Diskussion um das Internet der Dinge oder um die Industrie 4.0 bekommt die Aussage neues Gewicht. Ob Big Data oder die Künstliche Intelligenz in der Lage sind, die nötige Orientierung zu geben, darf mit Postman jedenfalls, angezweifelt werden.

Um der Entmündigung durch die Technopole zu entgehen, gibt Postman einige Handlungsempfehlungen für “Widerstandskämpfer'”.

Auszug:

Widerstand gegen das amerikanische Technopol leisten Menschen,

  • die einer Meinungsumfrage keine Bedeutung schenken, sofern sie nicht wissen, wie die Fragen formuliert waren und warum sie gestellt wurden;
  • die sich weigern, Effizienz als das vorrangige Ziel des Umgangs und der Beziehungen zwischen Menschen zu akzeptieren,
  • die sich vom Glauben an die magische Kraft der Zahlen befreit haben, die Berechnungen nicht als einen angemessenen Ersatz für die Urteilskraft betrachten und Präzision nicht als Synonym für Wahrheit;
  • ….

Ein weiterer Rat:

Wenn man bedenkt, welche zersetzende Kraft das Technopol zu entfalten vermag, besteht der wichtigste Beitrag, den die Schulen zur Bildung junger Menschen leisten können, vielleicht darin, dass sie ihnen ein Gefühl dafür, dass das, was sie lernen, Zweck, Sinn und Zusammenhalt hat.

Das läuft im Grunde auf die Aufforderung Kants hinaus: Sapere aude!

„Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“

Ein Satz, so zeitlos wir nur wenige – auch im Zeitalter der Technopole.

Von McLuhan

Ein Gedanke zu „Das Technopol (Neil Postman)“

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