Von Ralf Keuper

Wohl kaum ein Buch der letzten Jahrzehnte hat auf die Medientheorie einen so nachhaltigen Einfluss ausgeübt wie Die magischen Kanäle. Understanding Media von Marshall McLuhan. Seit der Erstveröffentlichung sind fünfzig Jahre vergangen, ohne dass die zentralen Aussagen des Buches, deren prominenteste wohl Das Medium ist die Botschaft ist, an Erklärungskraft eingebüßt hätten.

Wie es in dem lesenswerten Beitrag The Medium is the Message, 50 Years Later u.a. heisst, sind noch immer einige der “steilen” Thesen McLuhans in der Fachwelt umstritten. Um so mehr haben sie dagegen in der Realität Gestalt angenommen – insbesondere in den letzten Jahren.

Für McLuhan sind Medien letztlich nichts anderes als Ausweitungen unserer Sinne. Als Folge davon werden wir, d.h. unser Zentralnervensystem in einen Betäubungszustand versetzt. Mc Luhan nennt diesen Vorgang Selbstamputation.

Physiologisch spielt das Zentralnervensystem, jenes elektrische Netz, das die verschiedenen Medien unserer Sinnesorganisation koordiniert, die Hauptrolle. Was immer seine Funktion stört, muss unterdrückt, lokalisiert oder abgetrennt werden; das geht sogar bis zu völligen Entfernung des “kränkenden” Organs.  … Mit dem Aufkommen der Elektrotechnik schuf der Mensch ein naturgetreues Modell seinen eigenen Zentralnervensystems, das er erweiterte und nach außen verlegte (in: Die magischen Kanäle)

Mit der Verbreitung des Internet und begleitend dazu des Netzwerkgedankens (Stichwort: Soziale Netzwerke wie XING, LinkedIn, twitter, facebook etc.) bekommen die Aussagen neues Gewicht. Seitdem versucht die Netzwerktheorie die neuen Formen der Kommunikation der Menschen untereinander, aber auch die der Maschinen bzw. der technischen Objekte zu ergründen.

Neue Medienformate sorgen aber über das Zentralnervensystem bzw. die Selbstamputation nicht nur für einen Anpassungsdruck bei den Menschen, sondern haben darüber hinaus große Auswirkungen auf die Medien selber:

Was ich hier sagen will, ist, dass Medien als Ausweitung unserer Sinne neue Verhältnisse nicht nur innerhalb unserer eigenen Sinnesempfindung schaffen, sondern auch unter sich selber, wenn sie auf sich gegenseitig einwirken. Das Radio hat die Form des Zeitungsberichts genauso verändert wie es das Filmbild im Tonfilm änderte. Das Fernsehen führte zu drastischen Änderungen in der Programmgestaltung des Rundfunks und der Form des “Sachromans” oder des Tatsachenberichts (ebd.).

Zu sehen ist dieses Spannungsverhältnis seit einiger Zeit an den sinkenden Auflagenzahlen der Zeitungen u.a. als Folge der veränderten Lese- und Bezahlgewohnheiten der Kunden. Seitdem tobt eine Diskussion um die Zukunft des “Qualitätsjournalismus” im Zeitalter digitaler Medien. Bis heute hat die Zeitungsbranche kein Geschäftsmodell gefunden, mit dem sich im Internet an die alten Zeiten anknüpfen lässt. Zu unterschiedlich sind die Anforderungen an die Organisationsstruktur und die Unternehmenskultur. Diese schmerzhafte Erfahrung musste vor den Zeitungen bereits die Musikindustrie machen, wie sie Tim Renner in Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm eingehend beschreiben hat.

Nicht bewahrheitet hat sich jedoch McLuhans Annahme, dass die neuen Medien die alten vollständig ersetzen werden. Hier scheint noch immer das Rieplsche Gesetz zu gelten.

Der Stilwandel der Medien bleibt auch nicht ohne Auswirkungen auf die Produzenten. Waren es bis vor wenigen Jahren noch die großen Konzerne und Majors, wie Bertelsmann, Vivendi, News Corporation, Time Warner, die die Medienindustrie beherrschten, sind es heute Internetkonzerne wie Google, Apple, Amazon, facebook, Alibaba, Tencent, Baidu & Co., die immer weitere Teile des klassischen Mediengeschäfts an sich reißen: Apple beherrscht mit itunes den Markt für Musik und Filme, Amazon den Markt für Bücher, nebenbei steigt das Unternehmen selbst in die Produktion von Medien ein, facebook ist inzwischen der weltweit führende Nachrichtendienst und Tencent hat erst kürzlich seinen Einstieg in das Filmgeschäft bekannt gegeben.

Ein Ende der Entwicklung ist nicht abzusehen.

 Auch nach fünfzig Jahren ist Die magischen Kanäle ein Buch voller Überraschungen und verblüffender Gedankenverbindungen. Eine Fundgrube für jeden, der sich für die Zukunft der Medien interessiert. Diese Aussage gilt heute mehr denn je. Schon jetzt prägen Medien in hohem Maß unseren Alltag und bestimmen wie wir unsere Umwelt und uns selbst wahrnehmen. Ein Trend, der sich künftig noch verstärken wird.

Vielleicht lag McLuhan auch mit folgender Prognose richtig:

Wenn wir einmal unser Zentralnervensystem zur elektromagnetischen Technik ausgeweitet haben, ist es nur mehr ein Schritt zur Übertragung unseres Bewusstseins auch auf die Welt der Computer. Dann werden wir zumindest das Bewusstsein so programmieren können, dass es von der narzißstischen Illusion der Welt des Vergnügens nicht mehr abgelenkt oder betäubt werden kann … Wenn die Arbeit in der Stadt eine Erneuerung oder Übertragung des Menschen in eine passendere Form darstellt, als sie seine nomadischen Vorfahren gefunden hatten, hat man dann nicht fast den Eindruck, dass unsere jetzt sich vollziehende Übertragung unseres ganzen Lebens in eine geistige Form der Information den ganzen Erdball und die Familie der Menschheit zu einem einzige Bewusstsein macht? (ebd.)

Das weckt Erinnerungen an Huxleys Schöne neue Welt.

Mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen im Bereich der Supercomputer, wie IBMs Watson oder in der Robotik tun wir gut daran, die Sätze nicht als reine Hirngespinste abzutun. Dafür hat McLuhan in der Vergangenheit zu oft richtig gelegen 😉

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