Von Ralf Keuper

Der Rat von Experten wird in Krisensituationen besonders gerne von Politikern und Medien gesucht; aus unterschiedlichen Motiven. Die Politik will ihre Entscheidungen durch die Hinzuziehung von Experten mit wissenschaftlichem Anspruch versehen, wohingegen die Medien mehr an der Sensation interessiert sind. Die Medien bzw. Teile davon schreiben den Experten gerne Fähigkeiten und eine Machtfülle zu, die mit der Realität nur wenig zu tun haben. Damit können sie Reaktionen hervorrufen, die für den Experten bedrohliche Ausmaße annehmen. Aktuelles Beispiel ist der Virologe Christian Drosten, der, nachdem er eine E-Mail erhielt, in welcher der Verfasser ihn für den Freitod des hessischen Finanzministers Thomas Schäfer verantwortlich machte, erwägt, die Medien künftig zu meiden((Virologe Christian Drosten erwägt Rückzug aus Medien nach scharfer Kritik an Corona-Berichterstattung)). Das wiederum beflügelt die Medienbranche, die einmal mehr ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgehen kann; der Beschäftigung mit sich selbst – in der Soziologie auch als selbstreferentiell bezeichnet. In gewisser Weise wiederholt sich hier das bekannte Muster, wonach die Medien den Helden zunächst küren, ihn dann auf die nötige Fallhöhe schreiben, um ihn anschließend in die Tiefe rauschen zu lassen.

Es ist jedoch noch eine andere Interpretation möglich, wie sie Caspar Hirschi in Skandalexperten – Expertenskandale. Zur Geschichte eines Gegenwartsproblems beschreibt. Hirschi sieht bei Expertenskandalen verschiedene Handlungslogiken miteinander kollidieren. Die Handlungslogik wird von den jeweiligen Betrachtungshorizonten der beteiligten Gruppen (Wissenschaftler, Politiker, Journalisten) bestimmt. Die Politiker wollen demonstrieren, dass sie das Heft das Handelns in Händen halten, die Wissenschaftler sind bedacht, ihre Unabhängigkeit und Kompetenz unter Beweis zu stellen und dadurch Einfluss auszuüben, währenddessen die Medien auf der Suche nach der nächsten großen Story sind.

Hirschi schreibt über dieses Spannungsverhältnis, das leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen ist:

Es ist für Machtträger schon lange verlockend, sich bei heiklen Entscheiden hinter Experten zu verstecken, während diese immer wieder versuchten, von der Berater- in die Entscheidungsrolle zu schlüpfen. Solange beide Seiten gewisse Grenzen nicht überschritten, bestand ein labiles Gleichgewicht zwischen politischen Fremdlegitimierungs- und wissenschaftlichen Selbstermächtigungswünschen. Damit war es jedoch vorbei, als politische Entscheidungsprozesse im Zeichen der »Wissensgesellschaft« eine neue Choreographie erhielten. Auf der Ebene der Inszenierung hat die Expertenrolle eine markante Aufwertung erfahren. »Wissensbasiertes« Handeln meint im politischen Jargon »expertengestütztes« Handeln. Zugleich haben die Experten als Exponenten der Wissensgesellschaft an medialer Präsenz gewonnen.

Mit der medialen Präsenz kommen einige Wissenschaftler, vor allem aus der Soziologie und Ökonomie (Nassehi, Bude, Sinn etc.) gut zurecht. Sie suchen sie sogar, oder lassen sich gerne finden. Anders verhält es sich da schon bei Wissenschaftlern, die ihr Berufsleben zu weiten Teilen in Labors und wissenschaftlichen Kongressen zugebracht haben. Mit einem Mal stehen sie im Rampenlicht der medialen Öffentlichkeit. Allzu häufig verleitet das zu der Annahme, die Experten hätten mit ihrer medialen Präsenz an Einfluss gewonnen:

Das dürfte sich als Trugschluss erweisen. Experten sind weniger denn je Herren der Verfahren, in denen sie mitwirken. Man könnte sogar sagen: Anstatt nur einer arbeiten sie nun zwei Instanzen zu, der Politik und den Medien. Dadurch geraten sie leichter zwischen Hammer und Amboss und werden anfälliger für Manipulationen. Wenn ihre Empfehlungen publiziert oder sogar live gesendet werden, müssen sie ihre Worte auf die Goldwaage legen, und vieles von dem, was sie zuvor in formellen Verfahren zum Ausdruck bringen konnten, dürfen sie nicht mehr kundtun. Regierungspolitiker haben umgekehrt noch mehr Anlass als zuvor, ihren Experten vorgängig zu vermitteln, welche Empfehlungen erwünscht sind und welche nicht.

In einer akuten Krise, wie der aktuellen Corona-Epidemie, sind Vertreter der Naturwissenschaften, noch dazu wenn sie aus Orchideenfächern kommen, besonders gefährdet, Opfer dieses Dilemmas zu werden. Ein Soziologe kann sich im Grunde, wie Heinz Bude oder Armin Nassehi, zu jeder Krise äußern – nur: wenn kümmert es? Bei Virologen, die zu Vorgängen befragt werden, die in ihre fachliche Zuständigkeit fallen und unzählige Menschenleben direkt betreffen, ist das anders. Hier hört und sieht man genauer hin – mit allen Vor- und Nachteilen für den Experten.

Von McLuhan