Von Ralf Keuper

Wie objektiv kann, muss Journalismus sein? Diese Frage wurde in der Vergangenheit in einigen Beiträgen diskutiert. Kaum jedoch so intensiv wie in Objektiver Journalismus? von Anastasia Steinke.

Darin beruft sie sich u.a. auf Ulrich Saxer:

Ulrich Saxer präsentiert zwei Möglichkeiten objektiver Berichterstattung: eine Kombination aus reduktiver Objektivität, der „umfassend unbestechlichen Augenzeugenschaft“, und additiver Objektivität, „fairer Sprachvertretung“ aller relevanten Meinungen zum Konfliktthema.

Völlige Objektivität ist, wie in der Wissenschaft auch, indes nicht zu erwarten bzw. zu fordern:

Je tiefer eine Publikation ein Thema durchdringt, desto weiter entfernt sie sich gewöhnlich vom Reduktionsmodus bloßer Faktizität. Die Objektivitätsgarantie muss dann durch die Ergänzung der additiven Komponenten geleistet werden. Allerdings neigt die additive Objektivität zu engagierenden Elementen, welche ebenfalls als unvereinbar mit objektiver Berichterstattung gelten. Zwar kann man versuchen, durch ausgewogene Meinungsdarstellung Objektivität zu erreichen, es besteht dennoch stets die Gefahr voreingenommener Selektion. Deswegen verlangt publizistische Objektivität auch reduktive Bemühungen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass publizistische Objektivität nach Saxer sowohl reduktiv (vereinfachend) als auch additiv (hinzufügend) ist.

Kurzum: Ein subjektives Element, eine gewisse Färbung, eine persönliche Note bleiben. Alles andere wäre auch zu viel verlangt und unrealistisch, lebensfremd. Sofern der Autor, in der Lage ist, seinen Gedankengang, die leitenden Annahmen und deren stützende Argumente und Fakten darzulegen, ist der Objektivität nach menschlichem Ermessen genüge getan. Was heute – nach Faktenlage und nach Abgleich der relevanten Standpunkte –  als wahr gilt, kann morgen schon von der Ereignissen eingeholt und widerlegt sein. Niemand, auch oder gerade der Journalist, kann Wahrheit zweifelsfrei erkennen. Unser Wissen ist unvollständig – sowohl was den Einzelnen wie auch was die Gesamtheit aller betrifft.

Von Hajo Friedrichs stammt der berühmte Satz:

Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten.

Darüber, was Friedrichs damit gemeint hat, gehen die Meinungen auseinander. Martin Hoffmann hält in Das Objektivitäts-Dogma des Journalismus. Was wollte Hajo Friedrichs uns wirklich sagen? das Hajo-Friedrichs-Objektivitätsdogma für überholt und fordert stattdessen – ganz im Sinne von Friedrichs – ein Transparenz-Dogma. Auch Friedrichs habe eine Agenda verfolgt und eine bestimmte Haltung eingenommen.

Der Leiter der “Monitor” Redaktion, Georg Restle, fordert nun einen werteorientierten Journalismus, worüber in „Nicht jeden Mist abbilden“ berichtet wurde. Daraus:

Restle appelliert im journalist-Interview an seine Berufskollegen, sich auf Grundrechte und Humanismus zu besinnen. „Ganz grundsätzlich glaube ich, dass Journalisten überhaupt wieder über einen werteorientierten Journalismus nachdenken sollten“, so der WDR-Journalist. „Wir müssen nicht jeden Mist abbilden, nur weil er aus dem Mund eines Bundestagsabgeordneten oder eines Parteivorsitzenden kommt.“ Stattdessen sollten Journalisten aufzeigen, wohin die Menschenfeindlichkeit, die sich in Begriffen wie „Asyltourismus“ ausdrückt, am Ende führt.

Diese Forderung rief den Widerspruch von Stefan Winterbauer hervor, der in Haltungs-Schäden: Falsch verstandener Aktivismus der Medien kann gefährlich werden vor einer Selbstüberschätzung des Journalismus warnt.

Die taz ist den Weg, den Georg Restle in seinem Interview vorgibt schon mal ein wenig weitergegangen. Dieser Pfad führt weg vom Journalismus, hin zu einem Aktivismus, der sich als Haltung tarnt. Natürlich soll und darf jeder Mensch und Journalist eine Haltung und Werte haben. Und es stimmt ja auch, dass reine Objektivität eine Illusion ist. Allein dadurch, dass Medien von Menschen gemacht werden, gibt es immer einen subjektiven Faktor. Es ist aber ein großer Unterschied, ob man den Vorsatz hat, neutral zu berichten und sich um eine gewisse Objektivität immerhin bemüht. Oder ob man den Vorsatz hat, die Meinung des Publikums in eine bestimmte Richtung zu lenken, da man selbst ja weiß (oder zu wissen glaubt), was wahr, schön und gut ist. Der letztere Pfad ist ein gefährlicher. Je mehr Medien und Medienmacher ihn beschreiten, desto mehr spielen sie den populistischen Kräften in die Hände, die sie eigentlich doch mit so viel Haltung bekämpfen wollen.

Tiziano Terzani konnte mit objektivem Journalismus nur wenig anfangen. In den Gesprächen mit seinem Sohn Folco sagte er dazu:

Weisst du, wenn ich ehrlich bin, habe ich den Anspruch der Angelsachsen auf Objektivität immer lächerlich gefunden. So ein Quatsch! Ich persönlich habe nie vorgegeben, objektiv zu sein, denn ich bin es sicher nicht. Keiner ist es, und wer es behauptet, lügt. Wie könnte man auch objektiv sein? Das ist doch völlig unmöglich. Kurosawa hat das in seinem Film Rashomon eindrucksvoll gezeigt: Wenn sechs verschiedene Personen dieselbe Geschichte erleben, wird sie zu sechs verschiedenen Geschichten, denn die Art, etwas zu beobachten, die Details, die du dir herauspickst, die Gerüche, die du wahrnimmst, sind deine persönliche Auswahl von Einzelheiten, die natürlich dein Urteil beeinflussen (in: Das Ende ist mein Anfang).

Das ist zumindest ehrlich und selbstkritisch, wenngleich Terzani hier für meinen Geschmack zu sehr im Sinne des Konstruktivismus argumentiert.

Wer sich einer eigenen Haltung und Fehlbarkeit bewusst und bereit ist, diese kritisch zu reflektieren oder Kritik und Widerlegung gegenüber offen zu sein, darf für sich durchaus in Anspruch nehmen, objektiv im wohl verstandenen Sinn zu sein. Wer jedoch glaubt, sich im Besitz der Wahrheit zu befinden oder sich zumindest in exklusiver Nähe zu ihr aufzuhalten, ist alles mögliche, nur sicherlich nicht: Objektiv, engagiert und wertortieniert – ob Journalist, Politiker, Manager, Wissenschaftler oder Bürger. Objektivität, Engagement und Haltung bedingen einander – sie sind keine Gegensätze. Das ist der eigentliche Denkfehler.

Insofern bleibt als Ziel das, was  Peter Michael Lingens vor Jahren auf dem Popper-Symposium feststellte:

Den wahrscheinlich wichtigsten Beitrag zur Falsifizierung falscher gesellschaftlicher Thesen liefert in der offenen Gesellschaft der freie Journalist. Er ist gleichsam das Auge, das Ohr und der Mund des gesellschaftlichen Organismus. Durch ihn wird der gesellschaftliche Organismus imstande zu erfahren und zu artikulieren, wo und und wie eine bestimmte ideologische Behauptung widerlegt wurde. … Die offene Gesellschaft ist ohne freie Journalisten undenkbar. Denn sie lebt davon, dass falsche Theorie, falsche gesellschaftliche Maßnahmen so rasch wie möglich falsifiziert werden, damit sie durch bessere ersetzt werden können. Dafür ist entscheidend, ob der Journalist seine Aufgabe als Auge, Ohr und Mund des gesellschaftlichen Organismus korrekt erfüllt. Ob er, nach bestem Wissen und Gewissen die Wahrheit schreibt. (in: Karl R. Popper/Konrad Lorenz – Die Zukunft ist offen)

Von McLuhan