Was passiert, wenn man ein Buch mit einer KI zusammen schreibt? Wenn Sprache nicht mehr nur allein imaginäre, sondern auch reale Bilder erschafft? Was, wenn alles Entscheidende sich zwischen den Dingen ereignet und nicht in Blackboxes von Platinen oder Hirnschalen?

Was diese Fragen eint, ist das aufregende Projekt, mit dem “Parlament der Dinge” (der Technik, den Medien, der Natur) Ernst zu machen und sie gleichberechtigt in künstlerische Prozesse einzubeziehen. Obwohl Roland Barthes mit seinem Aufsatz La mort de l’auteur schon 1968 zu bedenken gab, dass dem Autor/der Autorin womöglich weitaus geringere Bedeutung zukomme als bisher angenommen (nämlich keine), ist in zeitgenössischen Diskussionen um Kunst und Literatur zunehmend wieder von einem emphatischen Autorschaftkonzept die Rede, das romantische Annahmen vom schöpferischen Genie reproduziert.

Digitale Literatur, generative Verfahren im Design oder der Bilderstellung, die mittels sprachgesteuerter Bildgeneratoren den alten Zwist zwischen iconic und linguistic turn neu perspektivieren, sind nur einige aktuelle Möglichkeiten, die das Schreiben, Denken und Gestalten als stetigen Rückkopplungsprozess zwischen Objektwelt und Bewusstsein verstehen und – im Rückgriff etwa auf den Surrealismus und dessen Techniken des automatischen Schreibens – mehr geschehen lassen, als selbst zu produzieren. Wo Absurditäten von KI-generierten Bildern und Texten als feature eines Werkes hervortreten oder Natur als Vorlage einer Nicht-Ich Welt aufscheint, wird Kunst zur kollaborativen Aushandlung. Solche künstlerischen Experimente bauen den Autor:innengenius ab und halten nicht länger an einer Sonderstellung des Menschen fest. Aber verschwindet deswegen das künstlerische Subjekt? »Is the artist necessary for making art today«?

Die vom KWI Essen und der Folkwang Universität der Künste gemeinsam organisierten Reihe »Wenn und Aber« widmet sich in den ersten drei Veranstaltungen diesen Verschiebungen des Auktorialen in der Kunst und diskutiert das emanzipatorische Potential von ästhetischen Formen des kollaborativen Schreibens und Gestaltens zwischen Mensch und Dingwelt.

Die Veranstaltung findet im Rahmen des Jahresthemas “Mehr oder Weniger” statt.

MEHR ODER WENIGER
Wenn Unsicherheit die Signatur der Gegenwart ist, bringt „mehr oder weniger“ ein Lebensgefühl allgemeiner Ungewissheit zum Ausdruck. Unvorhergesehene Ereignisse und schwer kontrollierbare Phänomene scheinen sich zu häufen: in der Klimakrise, während der Corona-Zeit und erst recht in der „Zeitenwende“ seit dem russischen Angriff auf die Ukraine. Aber nicht nur in politischer und ökologischer Hinsicht werden Phänomene „mehr“: auch Informationen, Bilder und Literaturgenres werden durch die allgegenwärtige Metapher der „Flut“ repräsentiert. Hinzu treten Diagnosen einer kontinuierlichen Beschleunigung, des Niedergangs oder gar der Apokalypse, die in öffentlichen Debatten ebenso wie in sozialen Medien virulent sind – aber auch in der geisteswissenschaftlichen Forschung, die Gegenwart beobachtet.

Zugleich mehren sich die Forderungen, dass insgesamt weniger von allem da sein solle: Degrowth oder Nullwachstum empfehlen sich genauso wie tiny houses, Komprimierung und asketische (Selbst-)Praktiken von spezieller Ernährung bis hin zum Konsumverzicht florieren. Mit tl:dr (too long; didn’t read) wird im Internet die eigene – kurze – Aufmerksamkeitsspanne verteidigt. Gemeinsam ist all diesen Praktiken des weniger Werdens, dass sie die Kritik an den Folgen des Überkonsums positiv wenden, ohne die Idee des Konsums überhaupt aufzugeben: Formuliert wird lediglich ein Konsumregime unter anderen, unter ethisch vertretbar befundenen Vorzeichen.

Das Kulturwissenschaftliche Institut Essen (KWI) widmet sich 2023/24 mit dem Jahresthema „Mehr oder Weniger“ dieser Pendelbewegung und fragt, was, wann und warum mehr oder weniger geworden ist oder werden wird und welche Konsequenzen damit verbunden sind.

Quelle: Mehr oder weniger Autorschaft

Von McLuhan