Von Ralf Keuper

Die meisten Journalisten, so Christian Baron, haben wohlhabende Eltern mit akademischem Abschluss. Kinder aus Arbeiterfamilien hätten dagegen kaum eine Chance, die Ausbildung zu finanzieren. Wer von den Redaktionen als ebenbürtig anerkannt werden will, sollte vor und während des Studiums schlecht bezahlte Beiträge für Zeitungen veröffentlicht haben. Wer dafür aus finanziellen Gründen keine Zeit hat, fällt schnell durchs Raster. Insofern gehören Journalisten einer Kaste an, die sich selbst reproduziert. Dennoch, so Baron weiter, halten die Journalisten am Leistungsmythos fest, wonach es die eigenen Fähigkeiten waren, die sie für ihren Beruf qualifiziert haben. Kaum ein Beruf sei, was die Zugangsmöglichkeiten anbelangt, so elitär wie der des Journalisten; quasi eine geschlossene Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund überrasche es nicht, so Baron, wenn die Politik der letzten Jahre, Jahrzehnte, die zu großer Ungleichheit in der Gesellschaft geführt habe, von der Mehrzahl der Journalisten unterstützt wird.

Wie jede gesellschaftliche Gruppe, die sich von anderen unterscheiden will, haben die Journalisten einen bestimmten Habitus angenommen, wie ihn u.a.Thomas Hanitzsch in seinem Buch Das journalistische Feld untersucht. In einem Interview mit Telepolis erläuterte der Kommunikationswissenschaftler Thomas Wiedemann, inwieweit das Konzept des “Feldes” von Bourdieu zum besseren Verständnis der sozialen Beziehungen nach innen, der Journalisten untereinander, wie auch nach außen, gegenüber Politik und Wirtschaft etwa, beitragen kann.

Grundannahme ist nach Bourdieu, dass sich das Zustandekommen journalistischer Produkte nur dann adäquat untersuchen lässt, wenn man das journalistische Feld dekonstruiert – durch die Analyse der objektiven Feldpositionen, der unter Journalisten typischen Habitusformen sowie des Kapitals, das im journalistischen Feld Gewinn verspricht.

Demnach sind Journalisten nicht nur durch ihre Sozialisation geprägt, sondern in hohem Maße auch durch die (Arbeit-)Verhältnisse, die natürlich, wie in fast allen Unternehmen, durch Hierarchien und Belohnungsstrukturen gesteuert werden.

Wer dem journalistischen Feld oder einem seiner Subfelder (dem Hauptstadt-Journalismus, der Lokalpresse usw.) angehört, verinnerlicht automatisch dessen “Spielregeln” – bis zu einem gewissen Grad auch auf Kosten ursprünglicher Bewertungskriterien. Alles andere wäre ja schädigend für die eigene Position.

Um Zutritt zum journalistischen Feld zu bekommen, muss der Anwärter demnach über das nötige symbolische Kapital verfügen. Vor einigen Jahren sorgte eine Studie von Uwe Krüger für einiges Aufsehen. Krüger brachte die z.T. engen Verbindungen von Spitzenjournalisten mit Organisationen wie dem Weltwirtschafstforum und der Münchener Sicherheitskonferenz zum Vorschein.

Der Journalismus hat an Einfluss verloren. Die Auflagen der meisten Tageszeitungen bewegen sich seit Jahren kontinuierlich nach unten, ohne dass die Online-Angebote den wirtschaftlichen wie publizistischen Verlust ausgleichen können. Insofern handelt es sich um eine Elite, deren symbolisches Kapital deutlich an Wert verloren hat. Ob diese Gruppe sich dann nach bestimmten Regeln verhält, einen Habitus oder ein Feld bildet, ist dann schon fast zweitrangig. Die meisten Angehörigen dieser Berufsgruppe haben ohnehin die gleichen Probleme wie andere Arbeitnehmer in kriselnden Branchen auch (Vgl. dazu: Journalismus unter Druck: Studie beleuchtet Probleme in den Medien). Die Frage stellt sich eher: Können die Journalisten ihrem Auftrag überhaupt gerecht werden, selbst wenn sie es wollen? Wer könnte an ihre Stelle bzw. an ihre Seite treten? Wissenschaftler? Inwieweit reicht die Fähigkeit der Journalisten zur Selbstkritik, Selbstreflexion und Selbstkorrektur?

Bourdieu forderte die Soziologen übrigens dazu auf, Gesellschafts-Utopien aufzustellen,

da sie dies sonst denjenigen mit weniger Skrupeln oder den weniger Kompetenten oder den Politikern und Journalisten überlassen müssten. (in: Norbert Elias und Pierre Bourdieu im Vergleich).

Keine gesellschaftliche Gruppe hat die Wahrheit gepachtet. Für das Funktionieren einer offenen Gesellschaft ist die Meinungsvielfalt und die Einigung auf (Qualitäts-)Standards von besonderer Bedeutung.

Von McLuhan

Ein Gedanke zu „Journalismus: Geschlossene Gesellschaft?“
  1. […] Man eignet sich die Sichtweisen an, die in der Organisation und Institution, in der man tätig ist oder in deren Einflussreich man sich befindet, vorherrschend sind. Das ist an sich nichts Neues. In der Organsiationstheorie spricht man in dem Zusammenhang vom Groupthink, der Wissenschaftsphilosoph Ludwik Fleck bezeichnet das als “Denkkollektiv”, während der Organisationsforscher Karl Weck das Phänomen mit “Gestalteten Umwelten” beschreibt. Pierre Bourdieu wählte den Begriff “journalistisches Feld“. […]

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