Von Ralf Keuper

So schnell kann es gehen: Noch vor kurzem wurde Hans-Joachim Watzke von der FAZ in Er steht für Dortmund über den Klee gelobt, da dreht sich der Wind augenblicklich, als Watzke in einem Interview einen offenen Dissens mit Trainer Thomas Tuchel einräumt. Wenige Wochen später ist Tuchel nicht mehr Trainer des BVB. Darauf reagieren die Medien in ihrer Mehrzahl mit demonstrativem Liebesentzug, wie René Martens in Schluss mit den szenischen Einstiegen feststellt. Martens nimmt darin u.a. Bezug auf den Beitrag in der FAZ Der Scheidungskrieg wird zur Schlammschlacht. 

Der Autor Michael Horeni folgt darin nach meinem Eindruck, wie schon zuvor in Der Feind im eigenen Haus, weitestgehend der Linie des Tuchel-Beraters Olaf Meinking. Der Berater bzw. dessen Lebensstil scheinen es dem Autor ohnehin irgendwie angetan zu haben: Die Kanzlei liegt “im Herzen Hamburgs, nahe der Außenalster, dort, wo das Geld wohnt und im Mai weißer Rhodedendron vor rausgeputzten Gründerzeithäusern blüht”. Das ist schon sehr nahe am Kitsch. Solche Formulierung sollte man besser denen überlassen, die es können, also echten Schriftstellern. Hier das feine, noble Hamburg und Tuchel – dort das schmuddelige, gefühlsduselige Ruhrgebiet mit Watzke. Nur gut, dass die Kanzlei ihren Sitz nicht in St. Pauli hat 😉

Für Hendrik Steinkuhl ist die Ächtung von BVB-Chef Watzke ein Sündenfall des Sportjournalismus.

Auffallend ist, dass sich auf einmal der Sänger Marius Müller-Westernhagen in der Diskussion zu Wort meldete. Die WAZ stellte in dem Beitrag Immer neue Details werden bekannt – bei Borussia Dortmund hat die Schlammschlacht begonnen dazu fest:

Dass Marius Müller-Westernhagen kurz vor dem Finale aus der Versenkung auftauchte und Spieler mit seinem öffentlichen Tuchel-Lob anstecken wollte, wertet man beim BVB als gesteuerte Aktion: Berater des Rocksängers ist Olaf Meinking – der Berater von Tuchel.

Aus irgendwelchen Gründen haben sich Teile der Medien auf Watzke eingeschossen und konstruieren ein Schwarz-Weiß – Bild: Das vermeintliche Genie Tuchel auf der einen und der eiskalte Technokrat Watzke auf der anderen Seite. Dass auch Kapitän Schmelzer sich von dem Trainer distanziert hatte, scheint einige Journalisten nicht zu bekümmern. Auch nicht, dass die Gremien des BVB die Entscheidung Watzkes ausdrücklich mittragen. In  Zorc erklärt, was der neue BVB-Trainer mitbringen muss – und räumt mit einem Vorurteil in der Causa Tuchel auf wird Sportdirektor Michael Zorc mit der Aussage zitiert:

Beim BVB gibt es im sportlichen Bereich keine Entscheidung, die nicht von mir getroffen und/oder inhaltlich komplett mitgetragen worden wäre. Deshalb ist es völlig falsch, von einem Alleingang von Aki Watzke zu sprechen!

Martens zählt die Zeit, die FAS und die taz zum Tuchel-,  die SZ und den Spiegel zum Watzke-Lager. Nach meinem Eindruck gehören zum Watzke-Lager auch die Welt und die WAZ.  Dass Tuchel nicht nur die leise, gepflegte Konversation beherrscht, musste u.a. Emre Mor erfahren, wie Sport1 in Tuchel faltet Mor zusammen schreibt. Ein weiterer Riss in der öffentlichen Darstellung Tuchels kam hinzu, als herauskam, dass der BVB-Fitnesstrainer Emre Mor demütigte, indem er ihn aufforderte, auf allen Vieren zu kriechen.

So oder so. Der Sportjournalismus sieht in der ganzen Sache nicht gut aus. Sicherlich nicht der letzte “Sündenfall”.  Die Unterscheidung zwischen Journalismus und PR fällt, mir jedenfalls, ohnehin immer schwerer.

Von McLuhan

Ein Gedanke zu „Tuchel vs. Watzke: Sündenfall des Sportjournalismus?“

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